Bei Starkregenereignissen reicht eine normale Entwässerung oft nicht aus, dann ist die Notentwässerung gefordert. Damit daraus kein Notfall wird, sollte der Dachdecker die Ausführung vorher mit dem Planer genau besprechen.
Als im März 2002 die DIN 1986 Teil 100 Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke erschien, wurden Notentwässerungssysteme für Dächer erstmalig verbindlich geregelt. In der überarbeiteten Normenausgabe vom Mai 2008 wurde das Konzept, welches auch den aktuellen Fachregeln zugrunde liegt, beibehalten. Die DIN 1986 Teil 100 sagt unter Punkt 9.1: Jede Dachfläche mit einer in das Gebäude abgeführten oder am Gebäude verlaufenden Entwässerung muss mindestens einen Ablauf und einen Notüberlauf mit freiem Abfluss über die Gebäudefassade erhalten. In die "Fachregeln für Dächer mit Abdichtungen" (Flachdachrichtlinien) wurden diese Regelungen in Punkt 2.4 (2) sinngemäß übernommen: Dachflächen mit nach innen abgeführter Entwässerung müssen unabhängig von der Größe der Dachfläche bei einem Ablauf mindestens einen Notüberlauf oder mehrere Abläufe erhalten.
Vorprogrammierter Streitpunkt
In der Folge stehen die Dachdecker vor dem Problem, die Notentwässerung an geeigneter Stelle und in der passenden Höhe einzubauen. Insbesondere bei Sanierungen eine knifflige Aufgabe, zumal der Bauherr nur ungern bereit ist, zusätzliche Entwässerungssysteme einbauen zu lassen, welche bisher offenbar nicht gebraucht wurden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Notentwässerung über die Fassade erfolgen sollte und das Erscheinungsbild des Gebäudes beeinträchtigt. Da ist der Streit mit Architekten und Bauherren programmiert. Notentwässerungen dienen der Ableitung von Niederschlägen, deren Intensität oberhalb der Entwässerungsleistung der innen liegenden Entwässerungsanlage liegt. Dieser Fall tritt genau dann ein, wenn ein extremer Wolkenbruch soviel Regen spendet, dass die Gullys samt Rohrsystem und Grundleitung das Niederschlagswasser nicht mehr aufnehmen können. In dieser Situation muss die Notentwässerung das überschüssige Wasser auf freie Flächen (nicht in die Grundleitung) ableiten. Bei normalen Niederschlägen mit Regenspenden unterhalb des 5-Jahres-Spitzenregens darf die Notentwässerung nicht zum Einsatz kommen.
Gewusst wie und wo
Typische Notentwässerungssysteme sind erhöht eingebaute Speier, erhöht eingebaute Gullys und Gullys mit Anstauring. Vorgehängte Rinnen können notfalls über die Vorderkante entwässern, vorausgesetzt die Rinne befindet sich nicht über einem sensiblen Bereich, zum Beispiel der Notaufnahme eines Krankenhauses. In diesem Fall muss die vorgehängte Rinne mit der Jahrhundertregenspende bemessen werden. Hinter Attiken liegende Rinnen gelten als innen liegende Rinnen und müssen zwingend ein Notentwässerungssystem enthalten. Röhrenförmige Speier haben prinzipbedingt geringere Ablaufleistungen als Gullys. Der Vorteil des einfachen Einbaus ohne Durchdringung der Tragdecke samt zugehöriger Rohre, muss der höheren Anzahl gegenübergestellt werden. Ein guter Kompromiss sind Attikagullys mit einem Einlauftopf der innerhalb der Dämmungsebene in ein waagerecht beziehungsweise leicht geneigt verlegtes Ablaufrohr mündet. Der Einlauftopf sorgt für hohe Ablaufleistung, das platzsparende, meist rechteckige, Ablaufrohr ermöglicht den Einbau oberhalb der Tragdecke. Tipp: Durch den Anschluss an ein Fallrohr kann die Entwässerungsleistung je Attikagully signifikant erhöht werden.
Die Einbauhöhe beziehungsweise die Höhe des Anstaurings ergibt sich aus der Anstauhöhe der Normalentwässerung. Bei Gullys bis DN 100 kann ein Wert von 35 Millimeter, darüber 45 Millimeter angenommen werden. Empfehlenswert (bei Druckentwässerungssystemen obligatorisch) ist die Berechnung der Anstauhöhe durch den Gullyhersteller, einen Statiker oder mit den Berechnungshilfen der Fachregel-CD (MF Drain). Das Einstellen der Einbauhöhe erfolgt entweder durch Unterlegen einer Dämmstoffplatte oder mittels spezieller Anstauringe. Diese sind mit fester oder einstellbarer Höhe lieferbar. Besondere Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang Dächer mit Auflast beziehungsweise Dachbegrünung. In diesen Fällen geht man davon aus, dass der überschüssige Wasseranteil auf der Oberfläche von Kies, Plattenbelag oder Begrünung abfließt. Daher ist die Einbauhöhe der Notentwässerung mindestens bis auf Oberkante Auflast beziehungsweise Belag zu erhöhen.
Der höhere Wert gilt
Ebenfalls gesondert zu betrachten ist das Fließverhalten bei Umkehrdächern. Diese werden seit einigen Jahren auch mit oberseitigem Vlies zur Wasserableitung verlegt. Ist dies der Fall, stellt das Vlies die Bezugshöhe für die Anstauhöhe der Normalentwässerung dar. Die Notentwässerung ist daher in Anstauhöhe oberhalb des Vlieses oder knapp oberhalb der Auflast einzubauen - der höhere Wert gilt. Sobald die Einbauhöhe bestimmt wurde und die Notentwässerung mit Speiern erfolgt, gilt es, einen geeigneten Ort für deren Einbau zu finden. Auf gefällelosen Dächern bestimmt die Fassade die Platzierung. Zu vermeiden sind Austrittsöffnungen über Balkonen, Eingängen, Treppen, technischen Bauteilen (Lüftungsschächte, Klimaanlagen etc.). Dabei ist sicher zu stellen, dass überschüssiges Regenwasser nur auf schadlos überflutbare Flächen geleitet wird. Bei Gefälledächern gestaltet sich die Positionierung der Notentwässerung deutlich komplizierter. Geht man von einer Einbauhöhe von vierzig Millimeter aus, muss die Notentwässerung cirka zwei Meter von den Normalentwässerungsgullys entfernt eingebaut werden. Gefällegebung: zwei Prozent, entspricht zwanzig Millimeter Höhenunterschied je Meter. Der Einsatz von Anstauringen kann die Distanz nur verkürzen. Sitzen die Gullys mehr als zwei Meter vom Dachrand entfernt, wird es schwierig.
Im Beispiel müssten drei der vier erforderlichen Notentwässerungen über gesonderte Gullys am Übergang Gefälleplatte zwei zu drei eingebaut und über ein gesondertes Rohrsystem ins Freie entwässert werden. Lediglich die Entwässerungsfläche am linken Dachrand könnte über einen Speier direkt ins Freie notentwässert werden. Die Unterkante des Speierauslasses ist hierbei auf Anstauhöhe des linken Gullys einzubauen. Wird das Gefälledach als zweiseitige Gefälledämmung ausgeführt, kann die gesonderte Verrohrung der Notentwässerungsgullys entfallen, da die Kehle am Dachrand endet und dort einen Austritt ins Freie ermöglicht. Außerdem verbindet die Kehle sämtliche Gullys zu einer einzigen Entwässerungsfläche und hebt damit die Notwendigkeit einer Notentwässerung je Gully auf. Die ebene Kehle (siehe Kasten: Gefälledach) verletzt zwar eine zentrale Forderung der Flachdachrichtlinien bezüglich der Mindestgefällegebung von zwei Prozent, doch handelt es sich hierbei um eine Soll-, nicht um eine Muss-Bestimmung. Bei hochpolymerer Abdichtung oder zweilagig ausgeführter Bitumenabdichtung mit Elastomerbahnen bleibt die Ausführung fachgerecht. Nach einem Blick in den Bauvertrag muss eventuell eine Bedenkenerklärung Missverständnisse bezüglich der Kategorisierung nach DIN 18531 ausräumen.
Markus Friedrich