2010-07-15T00:00:00Z Klarheit bei der EnEV 2009?

Die Energieeinspar-Verordnung stößt immer wieder auf Kritik und, und das ist problematischer, auf Unverständis bzw. auf "Nichtverstehenkönnen". Insbesondere die Bagatellregel bringt für den Dachbauhandwerker und den Bauherren Unklarheiten, die nunmehr zum Teil recht einfach gelöst werden konnten. Der nachfolgende Text ist ein Ausschnitt aus der EnEV, hier Anlage 3 Abschnitt 4

4.1Steildächer

Soweit bei Steildächern Decken unter nicht ausgebauten Dachräumen sowie Decken und Wände (einschließlich Dachschrägen), die beheizte oder gekühlte Räume nach oben gegen die Außenluft abgrenzen,

a)ersetzt, erstmalig eingebaut oder in der Weise erneuert werden, dass b)die Dachhaut bzw. außenseitige Bekleidungen oder Verschalungen ersetzt oder neu aufgebaut werden, c)innenseitige Bekleidungen oder Verschalungen aufgebracht oder erneuert werden, d)Dämmschichten eingebaut werden, e)zusätzliche Bekleidungen oder Dämmschichten an Wänden zum unbeheizten Dachraum eingebaut werden, sind für die betroffenen Bauteile die Anforderungen nach Tabelle 1 Zeile 4 a einzuhalten. Wird bei Maßnahmen nach Buchstabe b oder d der Wärmeschutz als Zwischensparrendämmung ausgeführt und ist die Dämmschichtdicke wegen einer innenseitigen Bekleidung oder der Sparrenhöhe begrenzt, so gilt die Anforderung als erfüllt, wenn die nach anerkannten Regeln der Technik höchstmögliche Dämmschichtdicke eingebaut wird. Die Sätze 1 und 2 gelten nur für opake Bauteile.

Zeile 4a besagt, dass bei Wohngebäude und Zonen von Nichtwohngebäuden mit Innentemperaturen > 19°C ein U-Wert von max. 0,024 W/m²K erreicht werden muss. Nach § 9 "Änderung, Erweiterung und Ausbau von Gebäuden", müssen Bauteile immer dann energetisch nachgerüstet werden, wenn mehr als 10% der Bauteilfläche wie in 4.1 beschrieben bearbeitet werden. Das wurde bislang so interpretiert, dass z. b. bei einem Sturmschaden, bei dem mehr als 10% der Dachfläche betroffen waren, der Bauherr gem. der Vorgaben der EnEV handeln und das Dach in Gänze energetisch sanieren musste. Die Versicherer sind ihrerseits verpflichtet, gesetzliche Vorgaben oder Verordnungen einzuhalten und mussten somit die Kosten für die energetische Nachbesserung übernehmen. Dieses allerdings nur für den tatsächlich betroffenen Bereich und nicht für die Gesamtmaßnahme.

Diese Vorgaben stießen zu Recht auf Unverständnis, da hierdurch nicht nur erhebliche Kosten auf die Versicherungswirtschaft und zusätzlich auf die Bauherren eingewirkt hätten, mit der Folge, dass die Prämien erheblichen Steigerungen unterlegen wären, sondern auch bei den Dachbauhandwerkern, denn weshalb sollte man ein ansonsten völlig intaktes Dach umbauen?

Die 12. Staffel der Auslegungsfragen zur EnEV wurde von der Fachkommission "Bautechnik" der Bauministerkonferenz nunmehr veröffentlicht. Darin wird beschrieben, dass man bei der Anforderung nach Anlage 3 Nr. 4.1 Buchstabe b EnEV (s. oben) davon ausgegangen sei, dass dabei die gesamte Dachhaut einschl. der Lattung und ggfs. der Unterspannbahnen (Anmerkung Autor: selbstverständlich auch der Unterdeckbahnen und platten) und möglicherweise auch der vorhandener Schalungen ersetzt oder neu aufgebaut würde(n) und somit die Kosten dafür als "Ohnehin-Kosten" anzusetzen sind/wären.

Als Dachhaut im Sinne der Anlage 3 Nr. 4.1 Buchstabe b sei vor diesem Hintergrund also die Einheit aus Deckung mit darunter befindlicher Lattung, ggf. Unterspannbahn und ggf. Schalung anzusehen.

Aber: Für den Fall, dass bei einem Steildach lediglich die Dachziegel ohnehin ersetzt werden sollen, ist die generelle wirtschaftliche Vertretbarkeit einer Verpflichtung zur Wärmedämmung der betroffenen Flächen derzeit nicht nachgewiesen.

Werden Lattung, ggf. vorhandene Dachabdichtung und ggf. vorhandene Schalungen nicht ersetzt, so greift die Verpflichtung des § 9 Abs. 1 in Verbidnung mit der anlage 3 Nr. 4.1 Buchstabe b folglich nicht.

Mit anderen Worten: ist lediglich die Eindeckung beschädigt oder herabgeweht, ohne dass die anderen Teile des Dachaufbaus ebenfalls Schaden genommen haben und deshalb nicht erneuert oder ersetzt werden müssen, so müssen die Anforderungen zur energetischen Nachbesserung nicht erfolgen. Das auch dann nicht, wenn mehr als 10% der Dachfläche(n) betroffen sind.

Werden aber weitere Schichten des Dachaufbaus erneuert, so sind die Anforderungen selbstverständlich wieder zu erfüllen. Dabei ist die nach den anerkannten Regeln der Technik höchstmögliche Dämmstoffdicke vorzusehen. Allerdings begrenzt die EnEV die Wärmeleitfähigkeit nicht, wobei sich im Zuge einer Sanierung die energetischen Werte nicht verschlechtern dürfen. Diese Erklärung oder Klarstellung sorgt nicht nur für mehr Transparenz, sondern auch dafür, dass der Kostenrahmen für alle Beteiligten nicht gesprengt wird. Auch wenn eine energetische Sanierung letztlich immer einen Vorteil für die Umwelt bringt, so darf der wirtschaftliche Aspekt bei dem Erlass einer solchen Verordnung nicht aus den Augen verloren werden.

Kommentar

Ja, sehr geehrter Herr Ibold, ich bin mir sehr sicher, dass es sich um eine Inkonsequenz handelt, wenn man die ENEV 2009 bei ungefähr der Hälfte der zu erstellenden geneigten Dächer in Deutschland aufgrund von "Schlupflöchern" umgehen kann und aufgrund von konstruktiven Begebenheiten am Dach mit U-Werten aufwarten darf, die nicht einmal der WSVO 1995 gerecht würden. Das ist ein Rückschritt und kein Fortschritt.

Mir geht es dabei nicht um Sturm-, respektive Versicherungsschäden. Die können wir mal außen vor lassen. Diesbezüglich, also der Antwort Nr. 4 der Arbeitsgruppe der Fachkommission der Bauministerkonferenz zur Auslegung zu § 9 Absatz 1 in Verbindung mit Anlage 3 Nr. 4.1 hatte ich der ENEV 2009 auch keine Inkonsequenz unterstellt. Es geht mir schlichtweg um Dachsanierungen im bewohnten Bestand, bei denen der Innenraum bekleidet ist oder die Sparrenhöhe die Dämmdicke vorgibt. Und das ist die Mehrzahl. Und hier besagt (für alle die es noch nicht kennen) die Antwort Nr. 5 der Arbeitsgruppe der Fachkommission der Bauministerkonferenz zur Auslegung zu § 9 Absatz 1 in Verbindung mit Anlage 3 Nr. 4.1 folgendes:

Werden dagegen alle Schichten der Dachhaut erneuert, so muss das Dach die Anforderungen nach Anlage 3 Tabelle 1 Zeile 4 a einhalten. Ist die Dämmschichtdicke bei Zwischensparrendämmung wegen der Sparrenhöhe oder wegen der innenseitigen Bekleidung begrenzt, gilt die Anforderung als erfüllt, wenn die nach anerkannten Regeln der Technik höchstmögliche Dämmschichtdicke eingebaut wird oder bereits eingebaut ist. Die ENEV begrenzt die Wärmeleitfähigkeit des dafür verwendeten Dämmmaterials nicht. Ende Zitat.

Warum begrenzt die ENEV 2009 beispielsweise nicht die Wärmeleitfähigkeit des Dämmmaterials? Zwischen WLS 40 und WLS 32 gibt es nämlich einen Unterschied, ohne das die Dämmung dicker wird! Oder wie soll folgendes gedeutet werden: …..höchstmögliche Dämmschichtdicke eingebaut wird oder bereits eingebaut ist? Und wie schaut es beim Letzteren mit der Konvektionssperre aus? Oder weiter: …wegen der Sparrenhöhe oder wegen der innenseitigen Bekleidung? Was ist denn bei einer nicht ausreichenden Sparrenhöhe, aber einer fehlenden innenseitigen Bekleidung? Meiner Meinung nach sind diese Aussagen unglücklich formuliert oder vermutlich nicht zu Ende gedacht.

Mit Verlaub, Herr Ibold, aber mit Ihrer Argumentation hätte man es bei der WSVO 1995 belassen können! Ob ich persönlich weiterhin mit einem U-Wert von 0,30 (W/(m²K)) bei Dachsanierungen im Steildachbereich leben könnte, steht auf einem anderen Blatt Papier. Die Gestaltung eines Gesetzes als inkonsequent zu erachten muss nämlich nicht die eigene Meinung zum Inhalt widerspiegeln.

Und deshalb nochmals ja, diese "Schlupflochregelung" in der ENEV 2009 ist für mich inkonsequent und stellt einen Widerspruch zu den dann sinnlosen Novellierungen der ENEV und der damit verbundenen Zielsetzung dar!

Beste Grüße

Claus Wöbken

Kommentar

Klarheit ja, aber inkonsequent bei den Vorgaben zur Umsetzung. Die ENEV 2009 soll maßgeblich dazu beitragen, dass bei Gebäuden weniger Energie verloren geht. Dass die mit der neuen ENEV 2009 einhergehende Verschärfung der U-Werte bei der Umsetzung auf der Baustelle nicht zum Nulltarif zu haben ist, dürfte jedem klar sein. Die ENEV 2009 mit der Begründung der Wirtschaftlichkeit umgehen zu können, ergibt für mich keinen Sinn, zumal bei diesem Argument der Aspekt der Amortisation durch Energieeinsparung bei dem Einsatz dickerer Dämmstoffe und dadurch unter Umständen bedingten technischen Veränderungen am Dach unberücksichtigt bleibt.

Bei fast jedem Steildach im bewohnten Bestand trifft man auf die Situation, dass eine innenseitige Bekleidung als Begrenzung gegeben ist und die Sparrenhöhe nicht ausreicht, um den nun geforderten U-Wert von 0,24 (W/(m²K)) ohne zusätzliche Maßnahmen wie Aufdopplung der Sparren oder zusätzlicher Aufsparrendämmung zu erzielen.

Wenn ich die Antwort Nr. 5 der Arbeitsgruppe der Fachkommission der Bauministerkonferenz zur Auslegung zu § 9 Absatz 1 in Verbindung mit Anlage 3 Nr. 4.1 richtig interpretiere, dürfte in einer solchen Situation die Dämmdicke analog der Sparrenhöhe gewählt werden, wobei sogar die Wärmeleitstufe der Dämmung frei wählbar wäre? Beispiel: Die Sparrenhöhe beträgt 140 mm, die alte belüftete Dämmung 100 mm (WLS 040). Nun wird im Zuge der Sanierung eine 140 mm Mineralwolldämmung WLS 040 eingesetzt (Höhe des Sparrens). Der U-Wert verbessert sich zwar von ca. 0,41 (W/(m²K)) auf ca. 0,31 (W/(m²K)), wobei der neue Wert nicht einmal der ENEV 2002 gerecht geworden wäre.

Würde man stattdessen den Sparren um 20 mm erhöhen und eine 160 mm dicke Dämmung WLS 032 einsetzen, käme man auf den geforderten U-Wert von 0,24 (W/(m²K)). Die relativ geringen Mehrkosten würden sich in einigen Jahren durch Energieeinsparung amortisiert haben. Mit der dickeren Dämmung würde sicherlich kein Kostenrahmen gesprengt werden und der wirtschaftliche Aspekt wäre in der richtigen Richtung berücksichtigt worden. Und nebenbei bedankt sich die Umwelt.

Claus Wöbken, Dachdeckermeister und Sachverständiger, Köln

Antwort

Sehr geehrte Herr Kollege Wöbken,

sind Sie sicher, dass es sich hier um eine Inkonsequenz bei der EnEV 2009 handelt?

Ich betrachte die Vorgaben beim Bauen im Bestand eher als sinn- und maßvoll. Begründung aus technischer Sicht:

Nachhaltig und damit energetisch sinnvoll kann doch nicht sein, auf Teufel komm raus in jedem Fall höhere Dämmstoffdicken zu fordern. Bitte berücksichtigen Sie in der erforderlichen Energiebilanz, die die tatsächliche Amortisierung unter Umweltaspekten darstellt, auch die Kosten für die Entsorgung, Lagerung und/oder die für eine Wiederaufbereitung des gesamten Altmaterials einschl. der alten Wärmedämmung und Teile der Konstruktion, einschl. der Transportkosten und der daraus resultierenden Umweltbelastung durch den Transport und Lagerung. Die Herstellung neuer Wärmedämmstoffe, der Unterkonstruktion, der erforderlichen Verbindungs- und Befestigungselemente, deren Transport zur Baustelle etc., benötigen zusätzliche energetische Kapazitäten.

Allein durch die sich aus einer erhöhten Dämmstoffdicke in Verbindung mit einer besseren Wärmeleitgruppe ergebene energetische Verbesserung des Einzelobjekts lässt indes in der global erstelltenEnergiebilanz keine positive Entwicklung erkennen oder ablesen.

Eine ähnliche "Milchmädchenrechnung" wird oftmals auch in Verbindung mit sog. ökologischen Baustoffen in der Ökobilanz aufgestellt, Beispiel Kork.

Begründung aus wirtschaftlicher Sicht:

Stellen Sie sich ein Starkwindereignis wie den Sturm Kyrill Anfang 2007 vor. Und stellen Sie sich bitte weiter vor, dass bei der Vielzahl der Dächer, bei denen ein Sturmschaden in Form herabgewehter Dachziegel (-steine) vorlag, die weitere Unterkonstruktion, wie Unterdeckung, Unterspannung oder Unterdächer vollkommen intakt war. Sollen diese Schäden zusätzlich dadurch vergrößert werden, nur weil die EnEV eine höhere Dämmstoffdicke fordert? Sollen die Versicherungswirtschaft und die Hauseigentümer zusätzlich dadurch belastet werden, obwohl eine Amortisierung der zusätzlichen Dämm-Maßnahme aus wirtschaftlicher Sicht sich erst in etwa 30 Jahren darstellbar ist? Und das auch nur unter Berücksichtigung stabiler, also nicht erhöhter Versicherungsprämien?

Auch wenn nur die oben sehr oberflächlich aufgeführten und mit Sicherheit unvollständigen Aspekte der ökologischen und ökonomischen Sichtweise in eine Bilanz einfliessen, so stellt sich die von Ihnen behauptete Inkonsequenz aus meiner Sicht als weit weniger inkonsequent dar, als es auf den ersten Blick scheint.

M. f. G.

stefan ibold

zuletzt editiert am 24. Februar 2021