Porträt: Abitur gemacht, als App-Programmierer gearbeitet und sich dennoch für den Dachdeckerberuf entschieden. Die nächsten Ziele von Matthias Kremer sind: Die Betriebsübergabe und der Ausbau des Trierer Dachdecker-Unternehmens. Zur Nachwuchsproblematik hat der 25-jährige Meister eine klare Meinung, zu verklebten Dachaufbauten auch.
Auch wenn das Dachdeckerhandwerk seit einiger Zeit gute Ausbildungszahlen vermelden kann, bleiben die Nachwuchssorgen bei vielen Betrieben bestehen. Es fehlen gute Gesellen und Lehrlinge. Für viele Jugendliche und vor allem deren Eltern ist eine Ausbildung immer noch keine Perspektive. Handwerkskammern und Innungen schlagen Alarm, dennoch hat man das Gefühl, das alles schon einmal gehört zu haben.
Zum Glück gibt es Ausnahmen wie Matthias Kremer. Zum Interview sind wir über Teams verabredet. Kremer sitzt in der Kabine seines Firmenfahrzeugs in der Trierer Innenstadt und macht gerade Pause. Der Empfang ist gut, er hat die Kopfhörer im Ohr und sprudelt nur so los.
Er entschied sich zunächst nicht für den Dachdeckerberuf, sondern machte erst einmal sein Abitur, sogar als Drittbester seines Jahrgangs. Da war die Versuchung und der Druck groß, es erst einmal auf der Uni zu probieren. „Dann habe ich angefangen, freiberuflich als App-Programmierer zu arbeiten. Das hat mir auch Spaß gemacht, weshalb ich sehr lange überlegt habe, nicht doch Informatik zu studieren“, berichtet Kremer. Und auch vom elterlichen Dachdecker-Betrieb kam erfreulicherweise kein Druck, in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Zum Glück kam es anders: „Entscheidend war letztendlich die Tatsache, dass ich auch nach 1,5 Jahren Ausbildung noch hätte studieren können. Das war die richtige Entscheidung, und hier will ich bleiben“, so Kremer.
Keine geistige Unterforderung
Natürlich sprechen wir über die Nachwuchsproblematik. Wie sieht ein 25-jähriger Dachdeckermeister die aktuelle Entwicklung? „Als Teilzeit-Programmierer finde ich die Entwicklungen in Sachen Digitalisierung schon positiv. Aber trotz Drohnen und Apps: Wir sind doch noch nicht wirklich digital im Dachdeckerhandwerk. Damit punkten wir bei jungen Menschen nicht.“ Für Matthias Kremer sollten sich Dachdecker bei der Außendarstellung auf ihre Grundtugenden verlassen – und dazu stehen. „Ich denke, wir müssen wieder mehr die handwerklichen Stärken in den Vordergrund stellen. Das Gefühl für das Material, aus dem man etwas erschafft, fasziniert mich am meisten. Das Dachdeckerhandwerk ist für mich unglaublich abwechslungsreich, da es so viele Anwendungen und Verfahren gibt. Ich hatte Anfangs die Angst, als Dachdecker geistig unterfordert zu sein, aber es ist das genaue Gegenteil. Zum Beispiel, wenn man sich manchmal ausgiebig mit einem Schiefer oder einer Schare beschäftigt, es aber nicht perfekt passt und dann ein wahrer Handwerksmeister vorbeikommt, das Werkstück in die Hand nimmt, nach Gefühl einmal anhaut und zack – es passt perfekt.“
Dachdecker verdienen gut
Für Matthias Kremer muss eine grundsätzlich andere Haltung gegenüber Handwerksberufen entstehen: „Gerade an den Gymnasien wird oft ein falscher Druck zum Studieren aufgebaut und das Handwerk schlecht geredet. Deshalb denke ich, dass man Jugendliche mit Interesse zum Handwerk offensiv informieren muss. Beispiel Gehalt: Klar, es wird immer gerechnet, dass ein Arzt im Leben mehr verdient als ein Dachdecker. Es fragt aber niemand, wann man das meiste Geld im Leben braucht. Das ist vermutlich mit Anfang 30, und da hat der Dachdecker mehr Vermögen, wenn er es nicht ausgegeben hat“, lacht der junge Meister.

Dachdecker-WM: Lief wie ein Uhrwerk
Die handwerkliche Vielfalt erlebte Kremer auch bei der letzten Dachdecker-WM in der Schweiz. Nach drei Wettkampftagen holte er Mitte November zusammen mit Julia Peetz aus Tübingen die Bronzemedaille im Bereich Metalldach, siehe DDH 12.2022. „Es war eine tolle Erfahrung. Allein die Zeit der Vorbereitung war ein Erlebnis. Bei der WM war ich verblüfft, wie viele begnadete Handwerker auf diesem Event zusammentrafen. Obwohl jeder eine ganz andere Herangehensweise und anderes Werkzeug mitbrachte, arbeiteten alle auf ihre Weise wie ein Uhrwerk. Aus diesen Eindrücken kann ich viel für meine Arbeit zu Hause mitnehmen“, sagt Matthias Kremer.

Gerne mal die Fummelecken
Die Umstellung vom ehemaligen Lehrling, Gesellen, später Meister und jetzt zum Juniorchef gelang, laut eigenen Aussagen, recht geräuschlos und störungsfrei, fast fließend. Und selbstverständlich ist der junge Meister an der Ausbildung der Azubis beteiligt. Seine eigene Lehrzeit liegt erst ein paar Jahre zurück: „Mein Ziel ist es, dass wenn der Auszubildende ausgelernt ist, ich ihm mein Auto anvertrauen und ins Büro wechseln kann, weil ich weiß, dass er es nun vermutlich besser macht als ich.“ Kremer ist sich auch nicht zu schade, auf der Baustelle mal den Kies zu schippen, wenn die Gesellen die Verarbeitung besser lösen. „Bei uns sind fast alle Gesellen fachtechnisch einfach fitter, ich bin bisher nur theoretisch besser, aber das ändert sich so langsam. Besonders mag ich das Kleinteilige, die Fummelecken“, lächelt er.
Zukunft Betriebsübernahme: Plan ist die doppelte Besetzung
Wenn der Vater noch im Betrieb das Sagen hat, ergeben sich Reibungspunkte. Jede Generation hat ihren eigenen Führungsstil. Matthias Kremer muss seinen Vater in Sachen Digitalisierung und Mitarbeiterführung auch mal loben, statt nur nur zu kritisieren auch mal unter die Arme greifen. Fach- und betriebswirtschaftlich liegen Vater Konrad und er allerdings meist auf einer Linie. Und die Pläne zur Betriebsübergabe haben die beiden Dachdeckermeister schon früh gemacht. „Der Plan ist, die doppelte Besetzung, die wir im Moment haben, zu nutzen, um den Betrieb fit für die nächsten 30 Jahre zu machen. Dazu zählen der Ausbau des Betriebsgebäudes genauso wie die Digitalisierung. Sobald dieser Prozess abgeschlossen ist, wird sich mein Vater sukzessive in den Ruhestand verabschieden.“ Die fachliche Kompetenz ist mit mehreren Meistern sowieso vorhanden. Schwieriger wird es, wenn die Mutter von Matthias Kremer in den Ruhestand geht. „Sie macht die ganze Büroarbeit, die Löhne und die Abrechnung. Das wird nochmal eine große Herausforderung, dafür jemanden zu finden“, so Kremer.
Aktuell sind seine Verantwortungsbereiche neben Marketing und Digitalisierung die Ausbildung und die nicht baustellenbezogene Beschaffung. Perspektivisch plant Matthias Kremer, der nach seinen Meisterbriefen im Dachdecker- und Klempnerhandwerk letztes Jahr noch eine Weiterbildung zum Gebäudeenergieberater absolviert hat, sich als Sachverständiger weiterzubilden, „leider muss ich damit in Trier warten, bis ich 30 Jahre alt bin“, weiß Kremer. Drei Jahre dauert in der Regel die Weiterbildung zum Sachverständigen. Wenn er also damit in zwei Jahren anfängt, könnte das mit 30 eine Punktlandung werden. Es gibt also genug zu tun für Matthias Kremer.
Ob Senior oder Junior – im Mittelpunkt von Dachdecker Kremer stehen natürlich der Kunde und die Kommunikation. „Im persönlichen Gespräch soll dem Kunden möglichst genau klar werden, was wir vorhaben. Dazu senden wir dem Kunden Bilder ähnlicher Bauvorhaben zu und/oder zeichnen die neuen Elemente digital in ein Bestandsfoto ein. Jeden Morgen und jeden Abend findet mit dem Team ein ‚sumup‘ statt. Dafür schießt jede Kolonne durchschnittlich rund 20–30 Bilder pro Tag zu Dokumentationszwecken“, berichtet Matthias Kremer.
Cloud: Kommunikation mit Kunden vereinfacht
Standbein der eigenen Digitalisierung im Betrieb ist die firmeninterne Cloud, die mit der Website https://dachdecker-kremer.de/ verknüpft ist. „Ein zentraler, sicherer und datenschutzmäßig vertretbarer Ort für unsere wichtigen Daten war uns immer wichtig. Das hat vor allem die Kommunikation mit unseren Kunden stark vereinfacht“, so Kremer. Dass heißt auch: Rechnungen und Dokumente werden nur noch ausgedruckt, wenn es sein muss. Alle Autos sind mit GPS ausgestattet. Das ermöglicht eine lückenlose Dokumentation aller Fahr- und Arbeitszeiten. Fotos werden aktuell teilweise mit Handys und teilweise mit Digitalkameras gemacht.
Kritik an bestehenden Dachdecker-Apps
Den Markt für aktuelle Baustellen-Apps verfolgt Kremer genau. Bisher ist er noch mit keiner Lösung richtig zufrieden. „Für mich sind die meisten Anwendungen nur digitale Zettel, mit denen ich den Baufortschritt dokumentieren kann. Eine App, die unsere Prozesse über die Kalkulation bis zum Angebot bündelt, habe ich noch nicht gesehen“, so Kremer.
Kritisch geht er auch mit den Dachdecker-Kalkulationsprogrammen ins Gericht. „Die Technik funktioniert, aber die ‚User Experience‘ der meisten Programme für Dachdecker ist oft Müll, auch die Schnittstellen fehlen meistens noch“, wird Kremer deutlich und definiert seinen Anspruch: „Im Grunde ist es doch so: Der Mitarbeiter hat eine Rinne verbaut, die Software müsste ihn fragen: Wie viel Rinneisen oder Lötzinn hast du gebraucht? Es geht darum, dass beim ganzen Prozess keine Details vergessen werden, das können Programme mit künstlicher Intelligenz (KI) bereits, die Iphones wissen doch schon, wo wir hinfahren. Doch diese Sicherheit bietet bisher keine App für Dachdecker. Ich würde das ja programmieren, aber leider fehlt mir die Zeit“, ist sich Kremer sicher.
Weniger Verklebung einsetzen
In Sachen Nachhaltigkeit fällt ihm – neben dem Gründach und Solar – die Verklebung auf dem Dach ein. „Das ist für mich ganz klar ein unterschätztes Thema. Wir versuchen bei der Flachdach-Sanierung immer häufiger, weg von der Verklebung und hin zur Auflast zu kommen. Das ist vom Rückbau einfach sauberer und umweltfreundlicher als die Verklebung. Wenn ich sehe, wie schwer es ist, ein 30 Jahre altes Dach abzureißen, was verklebt ist, dann frage ich mich schon, wie lange es wohl dauert, wenn Dachdecker Dächer abreißen müssen, die heute gebaut worden sind. So was muss man schon bei der Planung berücksichtigen. Auch Flüssigkunststoffe sind ja Sondermüll“, sagt Kremer.
Den ausführlichen Beitrag lesen Sie in DDH 03.2023.