Porträt: Dachdeckermeister Nils Scharf ist ein echter Nachwuchs-Motivator. Ob im eigenen Betrieb, in Berufsschulen oder auf Jobmessen, er begeistert junge Frauen und Männer für das Dachdeckerhandwerk. Dabei zeigt er die schönen Seiten des Berufs auf, verschweigt aber auch die anstrengenden nicht.
Christian Jahn
Für die Dachdecker-Innung Solingen-Wuppertal ist Dachdeckermeister Nils Scharf ein Glücksfall. Der 41-Jährige brennt für seinen Beruf. Mit Enthusiasmus führt er nicht nur den eigenen Betrieb; als Beisitzer des Innungs-Vorstands macht er sich auch für die gesamte Branche stark, vor allem in der Nachwuchsgewinnung.
„Ich versuche zu vermitteln, dass es cool sein kann, Dachdecker zu sein“, sagt Scharf. Am Ende profitieren alle Betriebe in der Region davon, wenn sich genügend junge Menschen für den Beruf interessieren.
Seiteneinsteiger auf dem Dach
Scharf selbst fand den Weg aufs Dach erst im zweiten Anlauf. Nach dem Abitur nahm er zunächst ein Lehramtsstudium auf. Vor allem das Fach Sport begeisterte den athletischen, großgewachsenen Handwerker.
Dann allerdings kam ein Schlüsselereignis, das Scharfs Lebensplanung noch einmal komplett über den Haufen warf. Teil des Studiums war ein Schulpraktikum. Die Arbeit mit den Schülern sei ihm leicht von der Hand gegangen – schließlich kannte er das bereits aus der Jugendarbeit im Sportverein und im kirchlichen Umfeld. „Das Lehrerzimmer allerdings wirkte auf mich abschreckend. Nach dem Praktikum war daher für mich klar: Lehrer will ich nicht mehr werden“, erinnert sich Scharf.
Nach einer kurzen Besinnungsphase entschied sich der damals 25-Jährige für das Dachdeckerhandwerk. In anderthalb Jahren absolvierte er die Lehre, arbeitete anschließend bei seinem Ausbildungsbetrieb als Geselle weiter und machte im Dezember 2013 schließlich seinen Meister. Im Mai 2014 startete Scharf in die Selbstständigkeit und meldete ein eigenes Gewerbe an.
Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit
Heute weiß Scharf, dass der Umweg über das halb abgeschlossene Lehramtsstudium nicht umsonst war. Das pädagogische Wissen von damals nutzt er jetzt bei der Arbeit mit den Auszubildenden im eigenen Betrieb und genauso bei der Nachwuchsarbeit für die Dachdecker-Innung Solingen-Wuppertal.
Vor allem zwei Verhaltensweisen fordert Scharf von Auszubildenden ein – Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. „Ich kann nur jemandem etwas beibringen, wenn er regelmäßig morgens im Betrieb erscheint. Und das ist heute nicht mehr selbstverständlich“, so Scharf.
Pünktlichkeit jedes Einzelnen sei wichtig, weil im Team gearbeitet werde. Wenn sich einer verspätet, müssen alle anderen warten. In einem Vierer-Team müsse man die Verspätung eines Mitarbeiters konsequenterweise mit vier multiplizieren und aus zehn Minuten würden dann im Endeffekt vierzig Minuten ungenutzte Arbeitszeit.
Außerdem wichtig sind Scharf Neugier, Wissbegierde und die Bereitschaft, etwas Neues auszuprobieren. Wenn jemand nur desinteressiert danebenstehe und zum Anpacken aufgefordert werden müsse, dann werde die Zusammenarbeit für alle Beteiligten unnötig schwer.
„Im Grunde sind das alles Soft Skills, die du in jedem Beruf brauchst. Wenn ein Auszubildender diese Eigenschaften mitbringt, dann können wir ihm alles andere leicht beibringen“, ist Scharf überzeugt.
Verantwortung übernehmen
Leider seien gerade diese Soft Skills bei vielen jungen Menschen heute nicht besonders stark ausgeprägt. Und die anonyme Kommunikation über Social Media und Messenger-Dienste wie WhatsApp trage dazu bei, dass Vereinbarungen als unverbindlich und jederzeit aufkündbar wahrgenommen würden.
Als gelernter Pädagoge weiß Scharf allerdings auch, dass man die gewünschten Verhaltensweisen bei den jungen Menschen gezielt fördern kann.
„Wir machen die Auszubildenden von Anfang an zum Teil des Teams. Das ist etwas ganz Entscheidendes“, so Scharf. „Es gibt also nicht ein Dachdecker-Team hier und die Auszubildenden da, sondern alle zusammen sind das Team. ‚Wir brauchen dich im Team‘ – das kommunizieren wir klar und laut gegenüber den Azubis. Diese Wertschätzung ist wichtig, auch wenn die Lehrlinge uns vielleicht noch nicht den vollen Mehrwert bringen“, so Scharf.
Den Auszubildenden werden zudem schon früh Verantwortlichkeiten übertragen, zum Beispiel für das Werkzeug. Sie müssen dann dafür sorgen, dass die Akkus zum Arbeitsbeginn aufgeladen sind und dass abends kein Akku auf der Baustelle liegenbleibt. „Wenn ich ihnen sage, dass diese Arbeit wichtig ist und dass das Team auf sie zählt, dann wissen sie, dass sie gebraucht werden, und machen ihren Job gewissenhaft“, so Scharf.
Den Gemeinschaftssinn in seinem Team fördert der Dachdeckermeister außerdem durch gemeinsame Freizeitaktivitäten, wie zum Beispiel den Besuch einer Cart-Bahn oder im Sommer das gemeinsame Grillen, freitags nach getaner Arbeit.
„Zwar können Sie auch ein einwandfreies Dach bauen, wenn sich nicht alle im Team gut verstehen. Aber die Arbeit macht doch deutlich mehr Freude, wenn die Chemie stimmt“, weiß Scharf.
Was Spaß macht und was nervt
Für die Dachdecker-Innung Solingen-Wuppertal geht Scharf in die regionalen Berufsschulen. Dort spricht er mit den Auszubildenden, die die ersten drei bis vier Monate ihres ersten Lehrjahres bereits hinter sich haben.
„Wir fragen sie, warum sie überhaupt Dachdecker werden wollen“, sagt Scharf. Im Gespräch sammelt er mit den Azubis alle positiven Argumente für den Dachdeckerberuf und schreibt sie untereinander an die Tafel. Anschließend wechselt er mit den Auszubildenden die Perspektive und macht ihnen klar, dass es voraussichtlich genau dieselben Aspekte aus der Positiv-Liste sein werden, die sie irgendwann einmal auch an ihrem Beruf nerven werden.
„Zum Beispiel nennen die jungen Leute oft körperliche Fitness als Argument für den Beruf. Und ich sage ihnen dann, dass ihnen irgendwann einmal mit 40 oder 50 Jahren vielleicht das Kreuz und die Knie wehtun werden“, so Scharf. Ein anderes Beispiel sei das positive Argument vom Arbeiten im Freien bei Sonnenschein; natürlich macht das Arbeiten bei Kälte im Herbst weniger Spaß.
Das Ganze soll die Auszubildenden zur Selbstreflexion bewegen und am Ende in ihrer Wahl bestärken. Schließlich wissen sie genau, für welches Ziel sie lernen, und sind voll motiviert.
Später, während des dritten Lehrjahres, wird für die Innung noch einmal der Obermeister die Auszubildenden in der Berufsschule besuchen. Er zeigt ihnen Schadensfälle und beantwortet alle technischen Fragen dazu. „In der Regel haben die Auszubildenden so viele Fragen, dass sie den Obermeister gar nicht mehr gehen lassen wollen“, sagt Scharf. Als neutralem Dritten gelänge es dem Obermeister viel besser, die Lehrlinge dafür zu sensibilisieren, wie wichtig sorgfältiges Arbeiten sei. „Von mir als ihrem direkten Vorgesetzten nehmen sie solche Ratschläge bei Weitem nicht so wissbegierig auf“, so Scharf.
Von Azubi zu Azubi
Am besten funktioniert Nachwuchswerbung allerdings, wenn die Auszubildenden selbst anderen jungen Menschen von ihrem Beruf vorschwärmen. Scharf nimmt deshalb besonders gern seine beiden Azubinen mit zu Besuchen in Haupt- und Gesamtschulen, auf Ausbildungsmessen oder zu Verbandsveranstaltungen.
„Dass zwei junge Frauen die Dachdeckerausbildung machen, das ist schon etwas Besonderes. Und wenn unsere beiden Azubinen mit Begeisterung von ihrer Arbeit erzählen, dann hören die gleichaltrigen Frauen und Männer ganz gebannt zu“, freut sich Scharf.