Bonn: Der politische und gesellschaftliche Stellenwert des Dachdeckerhandwerks ist deutlich gewachsen. Das demonstrierte der 5. Deutsche Dachdeckertag, der ganz im Zeichen der Energiewende stand und zeigte: Damit sind auch große Erwartungen verbunden.
Die Zeiten, in denen das Dachdeckerhandwerk vor allem als Negativbeispiel für schwierige Rentenpolitik mediale Aufmerksamkeit bekam, scheinen endgültig vorbei. Die Energiewende ist mit Macht in die öffentlichen Diskussionen gerückt, und Dachdecker stehen buchstäblich auf der Sonnenseite der häufig hitzig geführten Auseinandersetzungen, wie die Klimaziele zu erreichen sind: Sie sind Macher, Umsetzer, Teil der Lösung. Der 5. Deutsche Dachdeckertag in Bonn demonstrierte eindrücklich, wie sehr die Fähigkeiten des Dachdeckerhandwerks von der Politik inzwischen gesehen und gebraucht werden. Die Erwartungen sind groß: Wenn die Ausbauziele erfüllt werden sollen, braucht es ein Dachdeckerhandwerk, das Ambition und Veränderungswillen zeigt. Die zweitägige Veranstaltung im Bonner Maritim vermittelte glaubhaft: Die organisierten Dachdecker sind bereit, diese Herausforderung anzunehmen.
Wettlauf um die Zukunft
Den Ton für die Tagung setzte nach der einleitenden Begrüßung von ZVDH-Präsident Dirk Bollwerk und Johannes Lauer, Vorsitzender des Berufsbildungswerkes, bereits der Eröffnungsvortrag von Prof. Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Quaschning verdeutlichte das Ausmaß eines vermeintlich geringfügigen durchschnittlichen Temperaturanstieges von 1,5 bzw. 3 Grad. Die stärksten Folgen seien dabei indirekte: Gesellschaftliche Verwerfungen, Massenmigration und Nahrungsmittelknappheit kämen Gesellschaften deutlich teurer zu stehen als jetzige Maßnahmen zur Verhinderung: „Es muss etwas passieren, und das auch schnell“, so Quaschning, der anschließend in die aktuelle Energiediskussion überleitete.

Nachfrage gezielt nutzen
Michael Zimmermann, ZVDH-Vizepräsident, hat sich in den vergangenen Monaten nicht nur als eines der prägenden Gesichter der Solarbewegung im Dachdeckerhandwerk etabliert. Zimmermann kann als Betriebsinhaber auch aufzeigen, wie Betriebe ihr Solargeschäft ganz konkret ausbauen können. Neben den breiten Markttrends im Solargeschäft zeigte der ZVDH-Vize daher auch auf, wie der Nachfrageboom mit effizienzsteigernden Maßnahmen – zum Beispiel einem Konfigurator auf der eigenen Website, der den Aufwand verringert, Kunden filtert und damit die Wertschöpfung erhöht – in den Griff zu bekommen ist.

Es trug wesentlich zur Glaubwürdigkeit der Tagung bei, dass sich die Organisatoren zum Ziel gesetzt hatten, auch über die Hürden in der Gesamtentwicklung zu sprechen. Jens-Peter Richard, Obermeister der Innung Mülheim, berichtete aus der Praxis der „gelebten Kooperation auf Innungsebene“. Dabei arbeitete Richard drei Faktoren heraus, die als Hemmnis wirken: Die fehlende fachliche Abdeckung der Aufgaben, eine häufig geringe Bereitschaft zum Wandel bei Inhabern im fortgeschrittenen Alter, wenn absehbar keine Nachfolgeregelung besteht, und der anhaltende wirtschaftliche Erfolg im konventionellen Geschäft. „Wir müssen uns bewegen“, fasste Richard zusammen, „der jetzige Erfolg ist die größte Gefahr für eine erfolgreiche Zukunft.“
Kooperation der Profis
Um die erforderliche Zusammenarbeit zwischen Dachdecker- und Elektrohandwerk auch offiziell zu untermauern, haben die Verbände in den vergangenen Monaten Kooperationen auf Bundes- und Länderebene geschlossen. Zur BBW-Obermeistertagung konnte mit dem Schulterschluss der Dachdecker-Organisationen Nordrheins und Westfalens mit dem NRW-Elektrohandwerk ein weiterer Baustein hinzugefügt werden.

Im Einklang mit dem Grundton der Veranstaltung stellten DDM Madeleine Peterson-Oster und Martin Weihsweiler, Landesinnungsmeister Nordrhein, die Arbeit des jungen ZVDH-Fachausschusses Nachhaltigkeit vor. Beim Thema Nachhaltigkeit gehe es immer auch um die Zukunftssicherung von Dachdeckerbetrieben, unterstrichen die Vortragenden. Sie zeigten die enorme Bandbreite der betrieblichen Ansatzpunkte auf: Von der Nachwuchsgewinnung über Maschinen und Fuhrpark, das eigene Betriebsgelände und den Materialeinsatz bis zur Mülltrennung und dem Bewusstsein für lokale Auftragsprofile. Ergänzt wurde der Vortrag durch die Vorstellung des neuen ZVDH-Nachhaltigkeitszertifikats „ZVDH Zert Green Building“ durch Philip Witte, ZVDH-Bereichsleiter Messe & Marketing.
Sehr gute Ausgangsposition
Die ZVDH-Delegiertenversammlung am zweiten Tag stand ganz im Zeichen der Politik. Einerseits nach innen: ZVDH-Präsident Dirk Bollwerk und ZVDH-Vizepräsident Michael Zimmermann sollten am Ende der Tagung beide mit über 90 % der Stimmen überzeugend in ihren Ämtern bestätigt werden (siehe Infokasten). Dirk Bollwerk eröffnete zuvor die Tagung mit einem politischen Statement, das sich am energiepolitischen Positionspapier des ZVDH orientierte.

Kritischer schilderte der neu gewählte ZDH-Präsident Jörg Dittrich die Lage in seinem Statement. Dittrich sprach sich dafür aus, Probleme der aktuellen Entwicklungen deutlich zu benennen: „Wir sind umringt von Krisen und gewaltigen Herausforderungen, die auch die Frage aufwerfen: Wie lange kann der Kunde das bezahlen?“ Auch für die Frage, wie die hohe Nachfrage im Zuge der Energiewende personell zu stemmen sei, wies der Dachdeckermeister auf den Widerspruch hin, dass über eine 4-Tage Woche bei vollem Lohnausgleich diskutiert werde, tatsächlich aber ein Mehrbedarf von über 200.000 Fachkräften erforderlich sei. Wichtig seien vor diesem Hintergrund intelligente Maßnahmen, um die Produktivität nicht nur im Büro, sondern auch auf der Baustelle zu steigern.
Wertschätzung für Klimahandwerker
Dass die Leistungen des Dachdeckerhandwerks politisch registriert werden, signalisierte die stellvertretende Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens, Mona Neubaur, mit ihrem Vortrag. Sie lobte die Dachdecker ausdrücklich als „Klimahandwerker“ und „beste Botschafter“ des Klimaschutzes. Dabei unterstützte die Ministerin für Wirtschaft, Klimaschutz und Energie auch die vielfach geäußerte Forderung, dass Handwerksberufe endlich eine höhere Sichtbarkeit in Gymnasien erhalten. Energiepolitisch, so Neubaur, habe sich Deutschland mit seinem Schwerpunkt auf russisches Gas nicht nur erpressbar gemacht, sondern auch seine Wettbewerbsfähigkeit verringert. Nun gelte es, verlorenen Boden gutzumachen mit einem „Optimismus, der nicht naiv ist. Wir setzen den Krisen etwas entgegen, nicht in Konkurrenz, sondern in Kooperation“, schloss Neubaur.
In seiner Videobotschaft betonte Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, die Schlüsselrolle des Dachdeckerhandwerks, das „ein wichtiger Ansprechpartner“ für das Ministerium sei. Kellner verwies auf eine Vielzahl von Maßnahmen, die das Ziel widerspiegelten, die Rahmenbedingungen für das erfolgreiche Arbeiten im Handwerk zu verbessern, darunter auch Bürokratieabbau und eine Fachkräftestrategie. „Die Verfügbarkeit von handwerklichen Leistungen wurde lange als selbstverständlich empfunden, und dafür gab es zu wenig Wertschätzung. Jetzt erhält das Handwerk den gesellschaftlichen Stellenwert, das es verdient“, schloss Kellner.
Die anschließende, von ZVDH-Pressesprecherin Claudia Büttner moderierte Podiumsdiskussion mit Mona Neubaur, Dirk Bollwerk und Jörg Dittrich fasste zentrale Punkte der Gesamtlage zusammen. Konsens war: Die Transformation weg von fossilen Brennstoffen ist, auch kostenseitig, unumkehrbar. Gleichzeitig müssen für Unternehmen und Privathaushalte Härtefälle abgefedert werden. Produktivitätssteigerungen, konsequente Nachwuchsförderung und Anreize für längeres Arbeiten sind kein Patentrezept, aber wichtige Maßnahmen, um den Mangel an Arbeitskräften zu dämpfen. Gezielte Einwanderung kann unterstützen, auch die Erwerbstätigenquoten seien noch nicht ausgeschöpft.
Den kompletten Beitrag lesen Sie in DDH 06. 2023