André Büschkes schaut direkt in die Kamera, im Hintergrund ist das Büro zu sehen.
Arbeitssicherheit wird im eigenen Unternehmen gelebt: BG BAU-Vorstand André Büschkes beim DDH-Interview im Euskirchener Betrieb. (Quelle: DDH)

Arbeitssicherheit 2024-03-28T11:09:00.156Z „Dachdecker können besser werden“

Interview: Als dienstältester ZVDH-Vizepräsident ist André Büschkes ein vertrautes Gesicht der Dachdecker-Interessenvertretung. In seiner neuen Funktion als Vorstandsmitglied der BG BAU stellte sich Büschkes unseren Fragen und sagt, wo das Dachdeckerhandwerk in den Themen Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz noch Fortschritte erzielen kann.

Herr Büschkes, seit Oktober 2023 sind Sie im Vorstand der BG BAU aktiv und folgten damit auf den bayerischen Landesinnungsmeister Ewald Kreuzer. Warum ist es wichtig, dass die Dachdecker weiterhin dort vertreten sind?

Weil wir als Dachdeckerhandwerk Hochrisikogewerk sind. Gerüstbau, Rohbau, die Zimmerer und eben wir, das sind die vier Gruppen am Bau mit ausgeprägt hohem Risiko. Wenn man dabei helfen will, die schlimmsten Unfälle, das damit verbundene menschliche Leid und die Kosten zu vermeiden, muss man an der Spitze ansetzen – und deshalb gehören wir Dachdecker mit in diesen Kreis.

Was bedeutet Hochrisikogewerk konkret?

Wir haben in der Bauwirtschaft 2022 erstmals weniger als 100.000 Arbeitsunfälle verzeichnet. Davon sind ungefähr 9.000 Dachdecker-Unfälle, das ist bereits eine Menge. Im vergangenen Jahr ereigneten sich auf Baustellen 71 tödliche Arbeitsunfälle. Davon waren 26 Absturzunfälle, wobei 12 davon von Dächern nach außen und 10 in das Gebäudeinnere stattfanden. Typischerweise geht es dabei um Lichtplatten, Asbestplatten und ungesicherte Lichtkuppeln. Abstürze nach außen sind seltener, vor allem durch konsequentere Einrüstung der Gebäude. Wenn wir aus Sicht der BG BAU auf die Gesamttrends schauen, muss man jedoch festhalten: Es gibt viele Berufszweige, die sich bei den Unfallzahlen verbessert haben. Das Dachdeckerhandwerk stagniert.

„Es gibt viele Berufszweige, die sich bei den Unfallzahlen verbessert haben. Das Dachdeckerhandwerk stagniert.“

Warum ist das so aus Ihrer Sicht?

Zur Wahrheit gehört auch, dass Berufe, die vorwiegend stationär arbeiten, leichter Verbesserungen organisieren können. Der Bauablauf auf der Baustelle sorgt für ständig neue Situationen, das macht es schwieriger. Arbeitsunfälle haben technische, organisatorische und persönliche Ursachen, die sich vermeiden lassen. Ein erster und wichtiger Schritt sind Beurteilung und Besprechen möglicher Gefährdungen. Bei den 9.000 Dachdecker-Unfällen muss man generell unterscheiden, denn in diese Statistik wird auch der Schnitt in den Finger reingerechnet, wenn er zu mindestens drei Tagen Arbeitsausfall führt. Unser Hauptaugenmerk, neben den tödlichen Unfällen, gilt deshalb den 15 % Unfällen der Kategorien 3 und 4. Das sind schwere und schwerste Unfälle mit allen Konsequenzen – bis zum Umbau der eigenen Unterkunft und lebenslanger Vollzeitpflege. Vor diesem Hintergrund sage ich: Wir Dachdecker können noch besser werden.

Wie werden sie das, trotz der großen Dynamik an der Baustelle?

Der Begriff ist nicht beliebt, aber ein Schlüssel liegt in der Gefährdungsbeurteilung. Sie schlägt die Brücke zwischen den standardisierten Regeln und der Situation, die man vorfindet und die immer wieder davon abweichen kann. Das heißt: Im Rahmen der Beurteilung nehme ich die Ausgangslage vor Ort und mögliche Probleme bewusst wahr und überlege zusammen mit meinen Mitarbeitern – oder der BG BAU – eine Lösung für genau diese Situation. Dazu kann ich nur aufrufen: Nutzt die Beratungsleistungen der BG BAU bei der Lösungssuche! Am Ende geht es darum, vorbereitet in ein Projekt zu starten.

Welche Hilfsmittel können Betriebe nutzen, um die Gefährdungsbeurteilung noch besser in ihre Abläufe zu integrieren?

Unser Arbeitsschutz-Ordner „Sicher auf dem Dach“ liefert speziell für Dachdeckerbetriebe viele, sehr konkrete Unterlagen und Formulare. Und so wie Betriebe ohnehin ihre Baustelle organisieren, von der Materialliste bis zur Dixi-Toilette, muss diese Beurteilung als ein selbstverständlicher Teil der Aufgaben gesehen werden. Und bei aller Wertschätzung für Check-Listen: Dachdeckerinnen und Dachdecker haben im Grunde das Wissen und das Auge, Gefahren zu erkennen. Das ist der wichtigste Schritt.

„Nutzt die Beratungsleistungen der BG BAU bei der Lösungssuche!“

Welche Themen werden aktuell in der BG BAU diskutiert und vorangebracht, um weitere Verbesserungen für den Arbeitsschutz zu erzielen?

Kurz gesagt: Wir reden über die Bereitstellung von Informationen und die bessere Vermittlung von Wissen. Ein konkretes Beispiel: Wir sprechen zurzeit über die Frage, wie oft sich Unternehmerinnen und Unternehmer zum Thema Arbeitssicherheit schulen lassen müssen, geregelt in der DGUV-Vorschrift 2. Die meisten deutschen Dachdeckerbetriebe operieren im Rahmen des alternativen Betreuungsmodells, was die Bereiche Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit betrifft. Dies bedeutet, dass sie keine internen Ressourcen für diese Funktionen haben, da sie in der Regel zu klein sind. Gemäß dieser Regelung müssen Betriebe im sogenannten Unternehmermodell lediglich einmal an einer Schulung teilnehmen, die in einigen Fällen schon mehrere Jahrzehnte zurückliegen kann. Wir schlagen vor, diese Praxis zu ändern, indem Unternehmen verpflichtet werden, sich alle drei Jahre einen Tag lang intensiv mit dem Thema Arbeitsschutz auseinanderzusetzen. Obwohl diese Maßnahme möglicherweise nicht von allen begrüßt wird, beobachten wir regelmäßig, dass viele Betriebe weder über die Schulungsangebote der Berufsgenossenschaft informiert sind, noch wissen, wer ihre Ansprechpartner im Außendienst der Berufsgenossenschaft sind.

Die BG BAU formuliert seit Längerem ein neues Selbstverständnis. Verfängt das aus Ihrer Sicht bei den Betrieben?

Es ist lobenswert, dass die BG BAU immer wieder betont, dass sie nicht als Gegner, sondern als Partner der Betriebe agiert und sich als Dienstleister versteht. Dieses Angebot sollten die Betriebe aktiv nutzen und entsprechende Leistungen einfordern. Obwohl viele Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut betreuen, halten sie die BG oft – auch mental – auf Abstand. Hier besteht noch Verbesserungsbedarf. Ich ermutige die Betriebe daher, der BG BAU auf Augenhöhe zu begegnen und deren Angebote anzunehmen. Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft den Umgang mit Fehlverhalten. Ich finde es fair, dass Betriebe bei schwerwiegenden Verstößen gegen Arbeitsschutzbestimmungen zur Rechenschaft gezogen werden können und auf ihre Haftpflichtversicherung zurückgreifen müssen. Es ist nicht gerechtfertigt, dass die Solidargemeinschaft für solches Verhalten kollektiv aufkommen muss.

Was könnte die BG BAU besser machen?

Die Guten und Engagierten stärker zu belohnen. Ich erlebe bei meinen Vor-Ort-Terminen immer wieder Betriebe, die sich sehr bemühen und Gedanken machen, wie sie ihr Team bestmöglich schützen können. Die es verstanden haben. Bisher bietet die BG BAU vor allem Fördermöglichkeiten über die Arbeitsschutzprämien, beispielsweise beim Kauf eines Entstaubers. Das wollen wir ausweiten. Ich persönlich setze mich zum Beispiel aktiv dafür ein, dass Dachdeckerbetriebe eine Förderung für Arbeitsbühnen mit großer Reichweite erhalten können, das ist bisher noch nicht möglich. Ein zweiter Ansatz wäre, Betrieben, die mehrere Jahre unfallfrei gearbeitet haben, Beiträge zurückzuerstatten, also mit einer Erfolgsprämie zu belohnen. Dies sind aber nur aktuelle Diskussionen, bei denen es viele Argumente für beide Seiten gibt. Noch deutlicher kann aus meiner Sicht aber werden, dass der Sanktion für Fehlverhalten eine Unterstützung für gutes Verhalten gegenübersteht.

Was berichten Ihnen Dachdeckerbetriebe aus ihrer Praxis?

Da kommt auch mal offene Kritik. Das Selbstverständnis der BG als Dienstleisterin findet nicht jeder Betrieb flächendeckend so vor. Insofern hat auch die BG BAU in Teilen noch einen Weg vor sich, den Mentalitätswandel in Richtung Augenhöhe auf der Baustelle auch überall zu gestalten. Unternehmerinnen und Unternehmer diskutieren konkret mit mir über mögliche Lösungen und ihre Vor- und Nachteile, zum Beispiel zum Thema Arbeitsbühnen. Dieser Austausch freut mich sehr und ist für meine Rolle als Vorstandsmitglied wichtig, um die Bedürfnisse des Dachdeckerhandwerks insgesamt in die BG BAU tragen zu können.

Wo steckt Potenzial in der Weiterentwicklung des Arbeitsschutzes?

In der Digitalisierung. Ein Beispiel: Die BG BAU baut zurzeit eine neue Zentrale in Berlin und hat sich dafür entschieden, das Gebäude nach BIM (Building Information Modeling) zu bauen. Und dabei wird deutlich, welche Ebenen in solch einen Planungsprozess integrierbar sind. Neben gestalterischen Aspekten sind dort von Beginn an zum Beispiel Anschlagpunkte für die Fensterreinigung von außen Teil des Plans. In einem BIM-Modell bleibt dann auch in der späteren Nutzung transparent und nachvollziehbar, welche Art und Qualität von Arbeitsschutzmaßnahmen baulich umgesetzt wurde – für die Handwerker später ein großer Zugewinn an Information und potenziell lebensrettend. Man denke nur an die Frage, wie genau und wie gut Anschlagpunkte verbaut wurden, ein Dauerthema im Dachdeckerhandwerk und auch im DDH.

Was machen Dachdeckerbetriebe heute deutlich besser als früher?

Ein positives Beispiel ist das Thema Gerüste. Durch die guten Jahre am Bau, die uns im Bestand hoffentlich auch noch etwas erhalten bleiben, haben viele Dachdeckerbetriebe schlicht keine Zeit für den Gerüstbau gehabt und haben diese Aufgabe Gerüstbauern überlassen, das hat zur Sicherheit beigetragen. Die stärkere Verbreitung von Arbeitsbühnen als Ersatz für Leitern ist ebenfalls eine gute Entwicklung. Ich nehme auch wahr, ohne dafür eine belastbare Statistik zu haben, dass mehr Betriebe mit ihren Teams über das Thema Arbeitssicherheit reden und zuhören. Im eigenen Betrieb haben wir damals das Präventionsprogramm „Bau auf Sicherheit, bau auf Dich“ durchlaufen und dabei unter anderem die Erkenntnis gewonnen, dass Mitarbeitende immer das Recht haben, Stopp zu sagen, aber gleichzeitig in der Pflicht sind, zu einer guten Lösung beizutragen. Das sind Maßnahmen, von denen alle profitieren und nicht zuletzt auch ein Faktor für die Außendarstellung des Betriebes, zum Beispiel in der Nachwuchsgewinnung.

zuletzt editiert am 09. April 2024