Baurecht im Gespräch: Wenn der Dachdecker auf Kundenwunsch alle Schäden am Dach als Sturmschäden ausgibt und abrechnet, ist das kein Kavaliersdelikt. Im schlimmsten Fall drohen fünf Jahre Freiheitsstrafe.
Dachdeckermeister Markus Dürscheidt: Kürzlich wurde ich nach einem Sturm zum Kunden gerufen. Dachziegel waren runtergefallen. Ich machte mir ein Bild vom Dach und stellte fest, dass dieses weitere Schäden aufwies, die aber nicht auf den Sturm zurückführen waren. Ich machte den Kunden darauf aufmerksam. Dieser bat mich, alles „für die Versicherung“ auf die Gesamtrechnung für die Sturmschäden zu setzen. Ich hatte dabei kein gutes Gefühl und habe das abgelehnt. War das richtig?
Rechtsanwalt Elmar Esser: Ganz klar: Ja! Ihr Bauchgefühl hat Sie nicht getäuscht. Denn es besteht die Gefahr, dass Sie mit einer solchen Handlung den Strafttatbestand des Betrugs nach § 263 StGB erfüllen oder sich zumindest der Beihilfe zum Betrug strafbar machen.
Dürscheidt: Ich mache mich strafbar? Aber wieso das denn? Die anderen Schäden, die ich festgestellt hatte, wären doch sehr wahrscheinlich spätestens beim nächsten Sturm ohnehin so richtig durchgeschlagen. Das käme doch dann auf dasselbe hinaus.
Esser: Darauf kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Mit Ihrer Rechnung, auf der Sie bestätigen, dass es sich samt und sonders um Sturmschäden handelt, täuschen Sie den Versicherer über die tatsächlichen Ursachen für die Schäden – zumindest über die Ursachen für den Teil, der nach Ihrer Einschätzung nicht auf den Sturm zurückzuführen ist. Wenn der Versicherer daraufhin den Schaden in der berechneten Höhe bezahlt, tut er dies nur, weil er mit Ihrer Hilfe getäuscht wurde. Dadurch wird das Vermögen des Versicherers geschädigt, denn er leistet ein Zahlung, zu der er aus dem Versicherungsvertrag nicht verpflichtet wäre. Und schon ist der Straftatbestand des Betruges erfüllt.
Dürscheidt: Ja, ich habe aber doch nur einen Vertrag mit dem Kunden. Mit der Versicherung habe ich keinerlei vertragliche Beziehung. Wenn die Versicherung an den Kunden zahlt, bin ich doch raus.
Esser: Es spielt keine Rolle, ob Sie in einer Beziehung zum Versicherer stehen oder nicht. Entscheidend ist, dass Sie mit der Bestätigung, die Reparaturen seien alle durch den Sturm erforderlich geworden, eine falsche Erklärung abgeben. Diese falsche Erklärung täuscht den Versicherer, der fälschlicherweise glaubt, er müsse auf der Basis des zugesagten Versicherungsschutzes zahlen. Der „Gefallen“, den Sie dem Kunden machen wollen, fällt dann auch Ihnen auf die Füße.
Dürscheidt: Womit muss denn ein Dachdecker rechnen, der sich auf solche „Wünsche“ des Kunden einlässt?
Esser: Da kommt so einiges zusammen. Zunächst das Risiko eines Strafverfahrens wegen Beihilfe zum Betrug. Der Strafrahmen des Betrugs beläuft sich auf Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Womöglich käme sogar Mittäterschaft in Betracht, denn schließlich fließt ja der Rechnungsbetrag dem Dachdecker zu, manchmal sogar von der Versicherung direkt, wenn das mit dem Kunden vereinbart wurde. Dann könnte man die falsche Rechnung als erheblichen Tatbeitrag ansehen, der zudem auf das eigene Interesse des Dachdeckers an der Versicherungsleistung zurückzuführen ist. Klar ist: Das ist kein Kavaliersdelikt.
Dürscheidt: Na ja, das Ganze muss der Versicherung aber dann auch ja erst einmal auffallen.
Esser: Unterschätzen Sie die Versicherungen besser nicht! Die verschiedenen Formen von Betrügereien summieren sich für die Versicherer jährlich auf Milliardenbeträge. Diese schauen daher mittlerweile ganz genau hin und haben auch ihre Methoden, verdächtigen Vorgängen nachzugehen. Und wenn die etwas finden, dann wird es für die Beteiligten sehr unangenehm, d.h. eine Strafanzeige ist die Regel.
Dürscheidt: Bekommt der Dachdecker denn, falls alles auffliegt, wenigstens den Teil der Rechnung bezahlt, der nachweislich auf dem Sturmschaden beruht?
Esser: Davon ist nicht unbedingt auszugehen. Denn die Versicherung kann in einem solchen Fall die Leistung aus dem Versicherungsvertrag insgesamt verweigern. Und ob dann der Kunde zu zahlen bereit ist, muss sich erst einmal zeigen.Denn auf den Kunden kommt ja noch mehr zu. Die Versicherung wird ihn im Zweifelsfall nicht nur auf Rückzahlung der erschlichenen Versicherungsleistung in Anspruch nehmen. Sie kann auch alle Aufwendungen geltend machen, die sich im Zusammenhang mit der Aufdeckung des Betrugs ergeben. Hierzu zählt z. B. ein externer Sachverständiger, der eingeschaltet wurde. Oder auch erhöhte Bearbeitungskosten der Versicherung zählen dazu. Und die Versicherung kann diese Kosten auch von dem Dachdecker einfordern. Das alles läppert sich.
Dürscheidt: Gilt das alles denn auch für den Sachverständigen, der einen Sturmschaden begutachten soll und „ein bisschen mehr“ aufschreibt?
Esser: Ja, das gilt auch für den Sachverständigen. Auch er kann Gehilfe oder Mittäter bei einem solchen Betrug sein. Er riskiert zudem, seine Bestellung zu verlieren. Denn ein solches Verhalten ist mit den Aufgaben des Sachverständigen nicht zu vereinbaren.