Interview: Diskriminierung auf der Baustelle, Sprüche von Mitschülern – das gibt es im Betrieb immer noch. Mitglieder der Dachdecker-Innung Kassel wissen: Junge Dachdeckerinnen sind Werbeträgerinnen und müssen gestärkt werden.
Claudia Büttner und Johannes Messer
Wie kam es dazu, dass die Dachdecker-Innung Kassel sich mit dem Thema Feminisierung beschäftigt?
Obermeister Joachim Schaumlöffel: „Obwohl wir uns im Rahmen der Ausbildung und der Meistervorbereitung seit Jahren um die Gleichberechtigung und Stärkung von Mädchen und Frauen kümmern, war das für uns zunächst kein Thema. Auslöser war dann ein Kollege, der von Fällen berichtete, in denen es im Rahmen der Ausbildung weniger gut gelaufen war. Er hat uns angehalten, das Thema stärker in den Vordergrund zu stellen.“
Wie sind Sie in der Innung konkret mit dem Thema umgegangen?
Joachim Schaumlöffel: „Wir haben schon immer viel Wert auf eine offene und transparente Kommunikation gelegt. Mit Marion Schaake haben wir eine langjährige Ausbildungsmeisterin, die viel Erfahrung mitbringt. Wenn wir feststellen, dass es irgendwo hakt, sei es in der Berufsschule oder im Betrieb, bieten wir immer ein Gespräch an.“
Lehrlingswart Jörg Halberstadt: „Im Grunde geht es uns darum, dass wir – egal welches Geschlecht – die jungen Dachdecker wertschätzen und respektvoll behandeln.“
Wie gehen Vorgesetzte, Kollegen, aber auch Kunden damit um?
Joachim Schaumlöffel: „Ganz überwiegend wird es positiv gesehen. Die Jungen benehmen sich anders, sind ruhiger, wenn Frauen mit in der Gruppe sind. In den Betrieben gelingt das dort gut, wo die Meister, die Vorgesetzten und die Betriebsinhaber diese Werte leben und Vorbildfunktion einnehmen. Von unseren Kunden ernten unsere Frauen überwiegend Bewunderung. Es gibt aber auch tatsächlich noch Bauherren, die sagen: Bei mir kommt keine Frau aufs Dach. Da suchen wir als Innung sofort das Gespräch und drängen auf eine Aussprache. Aber man muss das Thema immer wieder ansprechen. Deshalb gibt es von unserem Lehrlingswart dazu regelmäßig klare Ansagen im Bereich der ÜLU.“
Ausbildungsmeisterin Marion Schaake: „In den meisten Betrieben der Innung Kassel läuft es gut und problemlos. Immer mehr Unternehmer wissen um das Potenzial der jungen Dachdeckerinnen. In den Berufsschulklassen kommt es allerdings immer mal wieder zu Auseinandersetzungen. Da ist der Ton schon rauer. Daher machen wir schon zu Beginn der Ausbildung deutlich, dass wir vertrauliche Gespräche führen können und müssen, wenn es nötig ist. Wir haben aktuell sieben junge Frauen in den Ausbildungsklassen. Ich war selbst 20 Jahre auf der Baustelle, und wenn ich merke, dass die Mädchen zu viel einstecken müssen, dann fahre ich schon die Krallen aus.“

Jörg Halberstadt: „Wenn wir von der Ausbildung sprechen, ist es unser Ziel, die jungen Frauen zu stärken und selbstbewusst zu machen. Sie arbeiten in einer männerdominierten Arbeitswelt und müssen auch lernen, sich zu wehren. Ich beschäftige in meinem Betrieb aktuell zwei Meisterinnen und eine Auszubildende. Denen habe ich vorab einen Selbstverteidigungskurs angeboten. Das waren zwei Samstage, von denen, glaube ich, alle profitiert haben.“
Joachim Schaumlöffel: „Bei Konflikten im Betrieb gibt es bei uns nur eine Maxime: Sofort das Gespräch suchen, mit den Mitarbeitern, dem Inhaber und den Eltern. Damit kannst du nicht warten. Das hat auch gar nichts mit dem Wandel der Zeit oder der Generation Z zu tun. Das ist einfach nötig und wichtig.“
Wie kann die Innung im Konfliktfall konkret helfen?
Jörg Halberstadt: „Wenn wir wahrnehmen, dass es Probleme gibt, dann kümmern wir uns in der Innung darum. Zunächst in Gesprächen, dann an einem ‚runden Tisch‘ oder – wenn es gar nicht anders geht – sorgen wir dafür, dass der oder die Auszubildende in einen neuen Ausbildungsbetrieb kommt. Wir suchen auf jeden Fall direkt das Gespräch und versuchen, eine Lösung zu finden, die für alle gut passt, denn die Azubis sind die Werbeträger für das Dachdeckerhandwerk. Die müssen wir schützen.“
Marion Schaake: „Das sind oft individuelle Entscheidungen im Einzelfall, wie wir vorgehen. Wird in einer Gruppe ein blöder Spruch gekloppt, sprechen wir mit der gesamten Gruppe. In anderen Fällen kann es angebracht sein, ein sehr ernsthaftes Vier- oder Sechs-Augen-Gespräch zu führen. Es darf auch keine Vorverurteilung geben.“
In den meisten Fällen wollen die jungen Frauen keinen Sonderstatus, oder?
Joachim Schaumlöffel: „Genau, das stellen wir auch fest. Junge Frauen wollen eben nicht anders behandelt werden. Wir müssen in den Betrieben generell die Scheu ablegen und uns nicht als ersten Schritt Gedanken über getrennte Toiletten machen. Dennoch sind wir der Meinung, dass das Thema Diskriminierung ständig bespielt werden muss.“
Stellen Sie einen Verhaltenswechsel bei der Gen-Z-Generation fest?
Marion Schaake: „Es hat sich schon viel getan, zum Glück. Ich habe im Bereich Ausbildung so viel erlebt, dass ich sagen kann: Es hat sich viel verbessert, aber dennoch sind wir noch nicht am Ende. Zum Thema Sprache: Wenn ich in Sachen Nachwuchswerbung unterwegs bin, dann spreche ich von mir als Dachdeckerin. Ansonsten bleibe ich beim Dachdecker, der einen Meisterbrief besitzt, und lege nicht so viel Wert auf das Gendern. Ideal wäre es, wenn man den Beruf geschlechtsunabhängig begreift. Da sind wir aber leider noch ein Stück weit von entfernt.“

Stolz und Tradition: Spielt das für die junge Generation eine Rolle?
Joachim Schaumlöffel: „Bei aller Bereitschaft für neue Ideen – Tradition und Stolz auf unser Handwerk wird bei uns in der Innung Kassel gelebt. Und davon werden die jungen Menschen auch getragen. Ein Beispiel: Wir hatten vor Jahren eine Schülerin mit großen Problemen, sie war deprimiert, wir sahen bei ihr in ‚tote Augen‘. Im Laufe der Zeit hat sie sich ganz toll entwickelt und die zweitbeste Prüfung abgelegt. Sie weiß jetzt: Ich kann mit meinen Händen etwas erschaffen und mich aus Situationen herausarbeiten. Das sind dann solche Highlights, die uns stark machen.“
Marion Schaake: „Unser Ziel ist es, nicht nur einen Gesellenbrief zu übergeben, sondern vollwertige Persönlichkeiten auszubilden. Und wenn wir es dann erreichen, dass aus einem unsicheren und unglücklichen jungen Menschen eine erfolgreiche und selbstbewusste junge Dachdeckerin wird, dann hat sich der Spruch: Handwerk ist eine große Familie, mal wieder mehr als bewahrheitet. Solche Geschichten sind uns wichtig. In die glänzenden Augen der Dachdeckerin zu schauen war schon ein schönes Gefühl!“
Den ausführlichen Beitrag lesen Sie in DDH 07.2024.
