Nürnberg: Die Mitglieder des DachNetSV, alle ö.b.u.v. Sachverständige des Dachdecker-, Klempner- oder Zimmererhandwerks, trafen sich zum jährlichen Seminar. Neben hochkarätigen technischen Beiträgen ging es um die Frage, wie sich die Diskrepanz zwischen Kundenwunsch und Schadensregulierung lösen lässt.
Bevor Dachdeckermeister Herbert Gärtner die Moderation und die Vorstellung des Ablaufplans der Fachtage übertragen wurden, informierte Dipl.-Ing. Jochen Angerstein, geschäftsführender Gesellschafter der DachNetSV, die anwesenden Kollegen über aktuelle Vertragsverhältnisse mit den Versicherungen.
Herstellerangaben vs. Realität
Dachdeckermeister Stefan Küppers machte sich Gedanken über das Spannungsfeld zwischen Erwartung und technischer Realität. Da technische Regelungen nicht eindeutig seien, sich in Teilen sogar widersprächen und Regelungslücken aufwiesen. Funktionalität und Leistungsfähigkeit eines Produktes finden sich in den Herstellerangaben: Wie aber sieht es bei den Sicherheitsstandards und der Gebrauchstauglichkeit wirklich aus? „Haltet Euch mit Aussagen zur Lebensdauer eines Daches zurück“, lautete Küppers Fazit. Rechtsanwalt Thomas Schmitz, Dachdeckermeister und Geschäftsführer des Dachdecker-Verbands Nordrhein, beschäftigte sich unter anderem mit der Frage, wann die Nichteinhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik ein Mangel ist. Es gibt dazu unterschiedliche Gerichtsurteile, aber „Sie bestimmen, was die aaRT sind“.
Zu den Neuerungen der verwendeten Software Frontend für Gutachter gab Jochen Angerstein ein Update. Die hier aufkommende Diskussion, was wann zu tun sei, konnte er mit einem Satz beantworten: „Gefordert wird die Zurückversetzung des Schadens in den ursprünglichen Zustand.“ Nahtlos fügte sich Sabine Beyerleins Vortrag ans Thema an. Die Sachbearbeiterin der Generali Versicherung verdeutlichte, welche Kluft sich zwischen den Erwartungen der Versicherung und der Kunden bzw. des Vertriebs auftut. Der Sachverständige darf dem Makler oder dem Vermögensberater schon aus Datenschutzgründen keine Daten übermitteln. „Es spricht aber nichts dagegen, dass Sie mit dem Kunden kommunizieren, damit dieser nicht verunsichert zurückgelassen wird“, erklärte Beyerlein.
Was gehört wie wo hin?
Philip Witte, Bereichsleiter Messe und Marketing des ZVDH, unterstrich die Notwendigkeit, umweltschonende Baumaterialien im Dachdeckerhandwerk einzusetzen, da grob gerechnet ein Drittel der CO2-Emissionen auf den Bausektor zurückzuführen sind. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz habe auch Auswirkungen auf das Dachdeckerhandwerk: „Ich muss die Pflicht erfüllen, den nächsten Schritt in der Kette nachzuvollziehen.“ Gewerbliche und öffentliche Auftraggeber gehen immer öfter dazu über, Herkunftsnachweise zu verlangen. Der neue Fachausschuss des ZVDH „Nachhaltigkeit“ gibt mit dem Dach-Daten-Pool Entscheidungshilfe bei der Auswahl ökologischer, nachhaltiger Materialien, denn Nachhaltigkeit biete auch viele Möglichkeiten. Prof. Dr. Ing. Leif Peterson sagte es deutlich: „Es sollte uns bewusst werden, dass der Klimawandel da ist. Wir brauchen mehr Retentionsflächen und Schwammstädte. Nachhaltig Bauen ist gutes Bauen.“ Mit der Vorstellung konventioneller Holzbausysteme zeigte er Möglichkeiten dazu auf. Schäden an Flüssigkunststoffen war das Thema von Dr. Udo Simonis. Da sich die verschiedenen Arten durch ihre Rohstoffbasis unterscheiden, sind allgemeine Verarbeitungshinweise zwingend zu beachten: „Flüssigkunststoffe sind nur so gut wie der Anwender, der sie verarbeitet“, so Simonis. Auch gebe es eine Alterung von Flüssigkunststoffen, bedingt durch photo-induzierte Rissbildung von Kunststoffen auf Bitumenbahnen. Im Hinblick auf den Arbeitsschutz berichtete Simonis über neue Erkenntnisse und Gefahren beim Umgang mit Flüssigkunststoffen.
KI besitzt kein Bewusstsein
Künstliche Intelligenz ist in aller Munde, aber was bringt sie dem Dachdecker? Felix Moll klärte über das Wesen der KI auf und zeigte, wie er diese in seinem Betrieb nutzt. Mittels mathematischer und informatischer Methoden können KI-Systeme folgende Funktionen erfüllen: Aufmaße, Bildanalyse: Datenerfassung, Annotierung (Problemerfassung auf einzelnen Bildern). Moll: „Wie können wir im Handwerk mit diesen Techniken gut zusammenarbeiten? Eine hohe Digitalisierungsstufe jedenfalls ist eine notwendige Voraussetzung, KI zu nutzen. Der Betrieb muss zur Datenkrake werden. Ihr Wissen sollte jedoch nicht ins Netz gelangen“.
Dachdecker- und Klempnermeister Franz-Josef Rossbroich warf den Blick des Sachverständigen auf Photovoltaik-Anlagen auf Dächern. Er visualisierte Schäden und Mängel. Mit Blick auf den Brandschutz warnte er, dass die Forderung bezüglich des Brandverhaltens der Module schwer entflammbar sei. Immer öfter könne man lesen: „Unser Modul ist nicht zur Aufstellung über entzündlichen Untergründen geeignet.“ PV-Anlagen auf Bitumendächern gelten laut Publikationen einiger deutscher Versicherer zur Schadenverhütung als nicht versicherbar, weil eine selbstständige Brandausbreitung wahrscheinlich sei. Eine Übersicht zu Maßnahmen zur Risikominimierung bei der Montage rundete Rossbroichs Vortrag ab.
Philip Witte informierte über den Stand bei BT-Verfahren und der Gefahrstoffverordnung. Eine Beprobung der Asbestbelastung nach Gefährdungsbeurteilung sei nötig, wenn ein Gebäude vor 1993 errichtet wurde. In 25–35 % aller beprobten Bitumenbahnen wurde Asbest gefunden (Zeitraum: 2019–23). Ein künftiges Schulungskonzept orientiert sich an der Faserfreisetzung (TRGS 519) nicht mehr an schwach bzw. stark gebundenem Asbest. Die Exposition bei Tätigkeiten an Bitumenbahnen sei unbekannt, die unkontrollierte Freisetzung bei Zerstörung des Aufbaus aber denkbar. Philip Witte rief auf, Bauvorhaben zu nennen, die der ZVDH untersuchen kann, um gesicherte Informationen zu bekommen.
Funktioniert trotzdem
Dipl.-Ing. Klaus Hafer gab Einblick in seine Arbeit als ö.b.u.v. Sachverständiger am Beispiel eines Kölner Bauvorhabens, welches rechnerisch nicht funktionieren dürfte, es aber tue. Der Dachboden war mit Dämmung ausgelegt, ohne Dampfsperre, in Holzkonstruktion. In einem solchen Fall müsse sich bei einer Sanierung die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Effekt stellen. „Dächer müssen funktionsfähig und dauerhaft sein, zu Not auch ohne Fachregel oder DIN“, bilanzierte Hafer. Ein informativer Anhang zu den Regelungen in der DIN 18531 für die Planung und Ausführung von Gefälle auf Dächern mit Abdichtung sei zurzeit im Gelbdruck. Er forderte die Zuhörer auf, ihre Einsprüche mitzuteilen. Nach diesem Schriftstück sei nämlich alles mit Pfützen nicht funktionsfähig.
Herbert Gärtner gab einen Ausblick auf die neue Flachdachregel. Der Grundsatz, Dächer sollen mit einem Gefälle von mindestens 2 % in der Fläche geplant werden, sei geblieben. Bezüglich der Windsogsicherheit erwähnte Gärtner, dass es keine Mindestanzahl der Befestiger mehr gebe, sondern nach rechnerischem Nachweis befestigt werden muss. Änderungen erfolgten bezüglich der Wärmedämmstoffe, Abdichtung mit Bitumenbahnen sowie Kunststoff- und Elastomerbahnen sowie der Schutzlage bei Oberflächenschutz aus gebrochenem Material. Anschlüsse aus Kunststoff- und Elastomerbahnen müssen an aufgehenden Bauteilen bei Anschlusshöhen > 50 cm geklebt und mechanisch befestigt werden. Im Hinblick auf die Probleme mit Schrumpfverhalten warnte Gärtner: „Bitte schreiben Sie keine PYE PV mehr aus. Der Warnhinweis in den Fachregeln ist leider nicht deutlich genug für den ,normalen‘ Dachdeckerbetrieb.“
Schulungsangebot und Schlussdiskussion
Dachdecker- und Zimmermeister Andreas Schmitz, stellvertretender Vorsitzender des FA Wärmeschutz und Statik, fragte: „Wann bildet sich der klassische 3-Mann-Betrieb fort? Er kann es nicht, er hat keine Zeit.“ Der Verband müsse den Schritt auf den Betriebsinhaber machen, damit sich dieser fortbildet. Fortbildungsangebote sollen jetzt über die Landesverbände an die Betriebe erfolgen.
Den kompletten Beitrag lesen Sie in DDH 05.20024.







