Mann auf einem Dach
Umsteiger, dann Aufsteiger: Erik Löttgen auf dem Dach. (Quelle: Löttgen)

Porträts 2024-02-28T11:24:32.137Z Raus aus dem Büro – rauf auf’s Dach

Studium der Wirtschaftspsychologie, Key Account Manager – dennoch wollte Eric Löttgen auf's Dach. Wir berichten, warum er gerne als Dachdecker arbeitet.
Elisa Hinz und Johannes Messer

Für Eric Löttgen gab es eigentlich keinen Grund, Dachdecker zu werden. Dennoch tauschte er mit 32 Jahren freiwillig die harte körperliche Arbeit gegen seinen Bürojob. Nach mehreren Jahren in der Vermittlung von Zeitarbeitnehmern wollte Löttgen seine vertrieblichen Stärken in einem anderen Berufsfeld ausloten. Zu dieser Zeit wurde die Firma, bei der er tätig war, verkauft. Löttgen wagte die Chance für einen Neuanfang – im Dachdeckerhandwerk. Löttgen ist zwar technik-affin im Bereich Software, Berührungspunkte zum Handwerk hatte er bisher jedoch keine. Seine Eltern waren beide Lehrer und Oberstudienrat, krasser könnte der Gegensatz nicht sein. Nach Rücksprache mit der Agentur für Arbeit und dem Angebot, eine verkürzte Ausbildung zu einem Dachdeckergesellen in einem Betrieb zu machen, begann er in einem kleinen Betrieb in Erpel seine Umschulung.

Umschulung zum Dachdecker

Dabei stand Löttgen eigentlich vor einem steilen Aufstieg: Während seines Studiums an der Cologne Business School (CBS) im Fach Wirtschaftspsychologie absolvierte er ein Praktikum bei einem renommierten Unternehmen für Leiharbeit. Die Arbeit dort und die möglichen Aufstiegschancen reizten ihn sehr. Zudem wurde gerade in diesem Jahr erstmalig der Ausbildungsgang zum Personaldienstleistungskaufmann an der IHK Köln angeboten. Da ihm diese Ausbildung praxisnaher und erfolgversprechender erschien als das Studium, brach er es ab und machte stattdessen die Ausbildung, die er erfolgreich abschloss. Löttgen bekam sofort eine Anstellung angeboten. Als Key Account Manager war er bundesweit für zehn Standorte seines Unternehmens zuständig.

Es kam jedoch anders. „Ich bin einfach ins eiskalte Wasser gesprungen und habe mich bei einem Dachdecker-Betrieb vor Ort vorgestellt. Ich habe den Mitarbeitern gesagt: ‚Ich habe Lust und bin motiviert, aber ich habe noch nie geflext, gesägt, gebohrt, mit Gas gearbeitet, gelötet und mit Feuer gearbeitet – da müsst ihr mich an die Hand nehmen‘.“ Nach Rücksprache mit der Agentur für Arbeit und dem Angebot, eine verkürzte Ausbildung zu einem Dachdeckergesellen in einem Betrieb zu machen, begann er in einem kleinen Betrieb in Erpel seine Umschulung.

Doch vom Büro auf die Baustelle, das war natürlich für den Akademiker zunächst eine gewaltige Umstellung. „Es ist ein ganz anderer Start, wenn man mit 30 Jahren alle Techniken am Dach beigebracht bekommt und teilweise dann auch hart rangenommen wird“, ergänzt Löttgen. Er schildert die Zeit als schwierig, aber auch lehrreich, da er auch viel über sich selbst gelernt hat. „Wenn ich jetzt im Nachhinein darüber nachdenke, muss ich sagen, dass es eine der besten Erfahrungen war, die ich gemacht habe.“

Tolles Team-Gefühl

Vorher war er Account Manager mit eigenem Team, fühlte sich aber dennoch als eine Art Einzelkämpfer in seiner Firma. „Auf dem Dach habe ich zum ersten Mal dieses Team-Gefühl erlebt, weil man nur so stark ist wie das schwächste Glied in der Kette. Das war einfach eine supertolle Erfahrung.“

Der Kontakt zur Firma Behm in Bonn entstand durch einen damaligen Auszubildenden des Betriebes, der mit Eric Löttgen zur Berufsschule ging. Die beiden lernten bei der Firma Behm gemeinsam Schiefern in Vorbereitung auf die Gesellenprüfung. Löttgen erläuterte seinem jetzigen Chef seinen ungewöhnlichen Werdegang und äußerte, dass er sein altes Leben mit dem neuen verknüpfen wolle. Mit der bestandenen Gesellenprüfung fing er nach seiner zweijährigen Ausbildung im Jahr 2022 bei der Firma Behm an.

Löttgen ermutigt auch andere Berufstätige, die mit ihrer Arbeit unzufrieden sind, einen Neuanfang zu wagen: „Man muss mutig sein. Wenn die Kollegen merken, dass man das wirklich will und das nicht macht, weil man muss, schafft man es auch. Ich empfehle jedem, der Angst hat oder merkt, dass es so nicht weitergeht, den Mut aufzubringen und diesen Schritt zu gehen.“

Bürotätigkeiten auch jetzt noch relevant

Löttgen kann in seinem jetzigen Job alle Bereiche seiner vorherigen Bürotätigkeiten anwenden: telefonischer Kundendienst, Einwandbehandlung, Umgang mit den gängigen MS-Office-Programmen sowie alle anderen anfallenden Bürotätigkeiten. Sein sehr guter Umgang mit Kunden im Außendienst wird von der Firma sehr geschätzt. Er beschreibt seine Arbeit als „gesunden Mix“. Mit seinem Meister arbeitet er im Kundendienst. Löttgen ist drei oder vier Tage auf dem Dach und zwei Tage im Büro. „Wenn ich im Büro bin, mache ich das Tagesgeschäft: Ich nehme Anfragen an am Telefon, schreibe E-Mails, beantworte Kundenanfragen und oder schreibe die Aufträge und Angebote“, berichtet er.

Struktur durch Digitalisierung

Zum Glück ist auch im Dachdeckerhandwerk die Digitalisierung nicht mehr Fremdwort, sondern oft bereits gelebte Praxis. „Bei uns läuft einfach alles strukturiert ab. Wir haben zum Beispiel kaum bis gar keine Handzettel mehr. Zur Dokumentation nutzen wir ein iPad, auf dem wir unsere Aufträge für die Woche und auch für die Tage digital festhalten.“ Bei der Baustellendokumentation kommen Löttgens Fertigkeiten in Sachen Digitalisierung und Koordination zum Tragen.

Vier-Tage-Woche?

Dachdeckerbetriebe suchen seit Jahren schon Nachwuchs, oft vergeblich. Die Vier-Tage Woche ist ein Argument, um die Generation Z für das Gewerk zu begeistern. Auch bei Behm wird das bereits flexibel umgesetzt. Die Mitarbeitenden haben jeden zweiten Freitag frei, arbeiten aber für diesen freien Tag in der Woche davor mehr.

Zum aktuellen Thema Nachhaltigkeit fällt Löttgen ein praktisches Beispiel ein. Die Heizung in der Behmer Halle beheizen die Dachdecker:innen mit Lattenstücken oder Holzresten. Es gibt klare Regelungen, dass keine Materialien einfach so entsorgt werden.

Wie sieht das private Umfeld den Wechsel aufs Dach? Eric Löttgen erhielt aus seinem Umfeld und von seinen Studienkollegen durchweg positives Feedback für seine berufliche Weiterentwicklung. „Ich kann mir jetzt nicht mehr vorstellen, wie früher von morgens bis abends im Büro zu sitzen. Den Wechsel zwischen Büro, draußen auf dem Dach sein und mit verschiedensten Kunden reden finde ich einfach schön. Man muss sich auf jedes Dach und jeden Kunden immer wieder neu einstellen, weil es immer wieder eine Herausforderung ist.“

Fortbildung zum PV-Manager

Solar ist ein wichtiges Thema für Dachdecker. Deshalb schloss Löttgen eine Fortbildung zum Photovoltaik-Manager beim ZVDH in Düsseldorf ab. „Es ging auch darum, wenn sich auf einem bestehenden Dach unter einer Anlage ein Schaden befindet.“ Er wurde noch einmal spezifisch darin geschult, mit den neuen Gefahren und Sicherheitsanforderungen und -ansprüchen umzugehen. Durch die Fortbildung kann er in seiner Firma, wie auch viele andere Mitarbeitende, Photovoltaik- und Solarthermie-Anlagen auf einem Dach anbringen. PV ist kein Schwerpunkt der Firma Behm. Die Dachdecker werden jedoch oft als Montage-Unterstützung hinzugezogen. „Der Zusammenhalt der Kollegen in der Firma untereinander und der Umgang sowie die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten Charakteren gefällt mir sehr und sucht, wie ich finde, seinesgleichen“, so Löttgen abschließend.

Dachdecker auf Schieferdach
Eric Löttgen auf einem Schieferdach. (Quelle: Löttgen)
Mann im Anzug
Vergangene Zeiten: Eric Löttgen hat den Anzug inzwischen gegen Zunftkleidung ausgetauscht. (Quelle: Löttgen)
zuletzt editiert am 28. Februar 2024