Dachdeckerarbeiten an der Kirchenburg in Martinsdorf, Rumänien
Dachdeckerarbeiten an der Kirchenburg in Martinsdorf, Rumänien (Quelle: Marc Ammann, Rainer Groß)

Ausbildung 23. May 2023 Austausch mit Appeal

Ausbildung: Praktische Ausbildung fernab des gewohnten Schulalltags – die Fachlehrer Rainer Groß und Marc Ammann nehmen Dachdecker-Azubis auf internationale Lehrfahrten mit. Wir berichten, wie die Lehrlinge alte Handwerkstechniken neu entdecken, Denkmäler restaurieren und sogar Spaß an Absturzsicherungs-Systemen haben.

In Rumänien schliefen die Auszubildenden einfach in mitgebrachten Hängematten und Schlafsäcken in einem sanierungsbedürftigen Kirchturm. „Sie schlafen dann im Prinzip überdacht im Freien, aber das ist alles freiwillig und das finden die Lehrlinge auch toll“ erklärt Fachlehrer Rainer Groß. Gemeinsam wurde das Objekt im Laufe des Austauschs restauriert.

Groß ist Fachlehrer am Staatlichen Beruflichen Schulzentrum Waldkirchen in Bayern. Seit 2016 fährt er jährlich mit seinen Lehrlingen nach Siebenbürgen, Rumänien und arbeitet dort an berufsbezogenen Sanierungsprojekten. Auch die Azubis der Schweizer Partnerschule, dem Bildungszentrum Polybau in Uzwil, nehmen unter der Leitung ihres Fachlehrers Marc Ammann an dem Austausch teil. Pandemiebedingt fahren die Schweizer Azubis seit 2021 nach Siebenbürgen und arbeiten dort gemeinsam mit den deutschen Auszubildenden an dem jeweiligen Auftrag.

Als Teil der PSAgA-Schulung in Uzwil machen die Schüler*innen eine Hängeübung.
Als Teil der PSAgA-Schulung in Uzwil machen die Schüler*innen eine Hängeübung. (Quelle: Marc Ammann, Rainer Groß)

Das Projekt in Rumänien ist eine Besonderheit. Die Lehrlinge erleben einmalige Erfahrungen und Eindrücke. Schüler*innen aus verschiedenen Gewerken treffen aufeinander und arbeiten an einem gemeinsamen Ziel. „Ich erzähle meinen Lehrlingen bevor wir nach Rumänien fahren immer, wie einfach das Leben dort unten funktioniert. Ich vergleiche das dann mit Deutschland vor 60 Jahren.“ Rainer Groß erzählt, dass die Jugendlichen dennoch oft überrascht sind, beim ersten Rundgang durch den Ort.

Ein typischer Tag während des Austauschs in Rumänien beginnt mit dem gemeinsamen Frühstück um 7.30 Uhr. Es folgt eine Besprechung der Tagesabläufe, was ansteht und geschafft werden soll, bevor die Lehrlinge sich an ihre jeweilige Baustelle begeben. Zu Mittag gibt es Brotzeit und abends kochen die Einheimischen traditionell rumänisches Essen für alle. Im Anschluss findet oft ein gemeinsames Lagerfeuer statt, um das sich alle zusammenfinden und unterhalten.

Lösung durch Improvisation

In Rumänien arbeiten die Lehrlinge an einem Denkmal, restaurieren und sanieren dieses. Techniken und Mittel, die in Deutschland nicht mehr zum Einsatz kommen, werden erlernt und alte Handwerkstechniken beigebracht. So werden beispielsweise die Ziegel per Hand aufs Dach gebracht. Rainer Groß bemerkt, dass die Auszubildenden lernen, ohne professionelle Werkzeuge zu arbeiten und lösungsorientiert statt Problem suchend an die Aufgaben heranzugehen. „Wenn die Schraube in Deutschland nicht in der richtigen Länge da ist, dann fährt man in den Baumarkt und kauft die passende und in Rumänien schraubt man halt eine rein, die auch passt.“. Die Lehrer sind jedes Mal erfreut, wie kreativ die Schüler*innen an die Probleme herangehen und schauen gespannt zu, wenn die Lösung durch Improvisation und Geschick gefunden wird.

Verschiedene Schulen, Ausbildungsfächer und Gewerke treffen aufeinander. So sind beispielsweise Maurer*innen, Fliesenleger*innen, Zimmerer*innen und Dachdecker*innen vor Ort. Die Auszubildenden gucken sich bei den Arbeiten über die Schulter, lernen voneinander und helfen, wo es geht. „So wird man zum Generalisten, was heute ja besonders gefragt ist“, so Marc Ammann. „Der Kunde möchte ja auch einen Generalisten auf dem Bau haben, der nicht nur eine Sache kann, sondern alles versteht.“

Die ersten anfänglichen Schwierigkeiten und Anpassungen an Arbeitsweise und Kultur sind schnell überwunden und sowohl Groß wie Ammann berichten, dass ihre Schüler*innen von den Austauschen jedes Mal begeistert sind, froh, teilgenommen zu haben und mit neuen Fähigkeiten und Erfahrungen nach Hause kommen. „Einmal hat ein Schüler zu mir gesagt `Danke, dass ich dabei sein durfte‘ - da merkt man dann, als Fachlehrer hat man nicht viel verkehrt gemacht“, erzählt Groß. Er und Ammann berichten von der besonderen Beziehung, die sich untereinander und zwischen den Lehrlingen entwickelt; „Nach 2 Tagen waren alle so vertraut, als ob sie sich schon ewig gekannt hätten“.

Nicht alles ist gleich in der Schweiz 

Der Austausch der Schweizer Auszubildenden nach Deutschland und andersherum dauert jeweils immer 2 Wochen an. Teilnehmen können bis zu 8 Schüler*innen, die nach schulischer Leistung und Verhalten ausgewählt werden. Da die Schulfahrt nach Deutschland zumeist in den Wintermonaten stattfindet, wird wetterbedingt viel in den schuleigenen Werkhallen gearbeitet, in der verschiedene Gewerke unterkommen. Hier lernen die Lehrlinge mit Schieferdeckungen, Holzschindeln oder Faserzement zu arbeiten. Arbeiten, die im Schweizer Lehralltag weniger ausführlich behandelt werden, da bei den Schweizern andere Deckungsarten üblich sind. „Unsere Schüler*innen jammern immer, wenn statt mit der Motorsäge von Hand gearbeitet wird, aber das ist eben der Unterschied; das Handwerk wird in der schulischen Ausbildung in Deutschland noch mehr ausgebildet und in der Schweiz wird schon vermehrt mit Maschinen und Geräten gearbeitet.“, so Marc Ammann. Da die Ausbildungszeit in der Schweiz kürzer ist, wird die theoretischen Ausbildung weniger gewichtet, so dass den Schweizern auch hier neue Einblicke geboten werden.

Während die bayrischen Lehrlinge einen Tag pro Berufsschulwoche in der Werkhalle verbringen, findet der Fachunterricht in der Schweiz blockweise nur im Klassenzimmer statt. in der zweiten Woche des Schüleraustausches werden die deutschen Azubis mit in die Ausbildungsbetriebe genommen. Hier kann die betriebliche Ausrichtung variieren und die Lehrlinge gewinnen Einblicke in Arbeiten wie Gerüstbau, Außenwandbekleidung, Terassenabdichtungen oder dem Montieren von Solaranlagen.

Arbeitssicherheit schon in der Ausbildung

Eine weitere Besonderheit ist die PSAgA-Schulung, die in der Schweiz auf dem Lehrplan steht. So werden Absturzsicherungen und der Umgang mit Sicherheitsgeschirr beigebracht und die Lehrlinge können schon in der Ausbildung Kenntnisse in Bezug auf Arbeitssicherheit mitnehmen. Abgerundet wird das Ganze mit Ausflügen zu Sehenswürdigkeiten und in benachbarte Städte, so dass neben dem beruflichen Input die kulturelle Seite des Lehraustauschs nicht zu kurz kommt.

Weltgewandte Lehrlinge

„Wir zeigen damit: Es gibt noch mehr Möglichkeiten als Schule, Lernen und Beruf. Bei uns kann man ins Ausland gehen und das Gelernte auf andere Art vertiefen“, fasst Marc Ammann den Appeal der Exkursionen zusammen. Gesponsert werden die Austausche durch das Erasmus+ Projekt der Handwerkskammer München und Oberbayern und der Schweizer Agentur für Austausch und Mobilität Movetia.

Die von Rainer Groß und Marc Ammann begleiteten Studienfahrten zeigen, dass die jugendlichen Handwerker*innen interessiert daran sind, alte Handwerkskünste zu erlernen und ihr Wissen und Können in ungewohnten Situationen anzuwenden und unter Beweis zu stellen. In Aussicht steht, dass das Schweizer Berufszentrum Polybau einen beidseitigen Austausch mit zwei rumänischen Berufsschulen organisiert. So können die rumänischen Lehrlinge ebenfalls vor Ort in Siebenbürgen mitarbeiten und sogar in die Schweiz fahren und das dortige Programm miterleben.

Groß und Ammann erzählen, dass die Lehrlinge während des Austauschs fest zusammenwachsen und Freundschaften entwickeln, die noch Jahre später anhalten. Auch zwischen den beiden Lehrkräften ist im Laufe der Zeit eine enge Freundschaft entstanden.

Devi Liebergesell

zuletzt editiert am 06.06.2023