Serie Sachverständige: Ab dem Jahr 2026 wird die sogenannte Solarpflicht in mehreren Bundesländern auch auf Bestandsgebäude ausgeweitet. Was bislang nur bei Neubauten oder grundlegenden Dachsanierungen galt, betrifft künftig einen großen Teil des Gebäudebestands in Deutschland. Ziel ist es, den Anteil an erneuerbarer Stromerzeugung deutlich zu erhöhen und die Dachflächen verstärkt zur Energiegewinnung zu nutzen.
Damit entstehen neue Herausforderungen – nicht nur für die Eigentümer und ausführenden Dachdeckerbetriebe, sondern auch für die öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen des Dachdeckerhandwerks. Sie übernehmen eine zen-
trale Rolle bei der Bewertung von Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit und technischer Zumutbarkeit sowie bei der Vorbereitung von Ausnahmegenehmigungen.
| Übersicht Solarpflicht Nordrhein-Westfalen | ||||
|---|---|---|---|---|
| Gebäudetyp / Maßnahme |
Zeitpunkt der Pflicht |
Pflichtumfang |
Bezug / Voraussetzung |
Ausnahmen |
| Neubauten (Wohn- und Nichtwohngebäude) |
seit 01.01.2025 |
mind. 30 % der nutzbaren Brutto-Dachfläche |
Gilt auch für neue Hallen, Carports, Garagen |
Technische Unmöglichkeit oder wirtschaftliche Unzumutbarkeit |
| Bestandsgebäude (bei Dachsanierung) |
ab 01.01.2026 |
mind. 30 % der Netto-Dachfläche oder 3–8 kWp |
Vollständige Erneuerung der Dachhaut erforderlich |
Unwirtschaftlichkeit, Statik- oder Brandschutzprobleme |
| Öffentliche Gebäude |
seit 01.01.2025 |
mind. 50 % der nutzbaren Dachfläche |
Auch bei Erweiterungen und Umbauten |
Denkmalschutz oder technische Unmöglichkeit |
1. Rechtliche Grundlage und Anwendungsbereich der Solarpflicht in NRW
Die Solardachpflicht in NRW beruht auf dem Klimaschutzgesetz Nordrhein-Westfalen (KlimaG NRW) und der dazugehörigen Solarverordnung (SolDachPV NRW). Sie regelt, in welchen Fällen Dachflächen mit Photovoltaik-Anlagen zu belegen sind und welche Mindestanforderungen gelten.
Entscheidend ist die Definition der „vollständigen Erneuerung der Dachhaut“. Nur wenn die Abdichtung (bei Flachdächern) oder Eindeckung (bei Steildächern) vollständig erneuert wird, gilt die Maßnahme als Sanierung im Sinne der Solardachpflicht. Reine Wartungs- oder Reparaturarbeiten lösen keine Verpflichtung aus.
Damit treten nicht nur Bauherren und Eigentümer in eine neue Verantwortung – auch das Dachdeckerhandwerk und insbesondere die öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen stehen vor erweiterten Aufgaben. Sie müssen künftig prüfen, ob, in welchem Umfang und unter welchen technischen Voraussetzungen eine Photovoltaik-Anlage auf einem bestehenden Dach installiert werden kann – oder ob Gründe für eine Ausnahmegenehmigung vorliegen.
2. Die neue Solarpflicht – Ziele, Anwendungsbereich und 30-Prozent-Regel
Die Solarpflicht verpflichtet Eigentümerinnen und Eigentümer dazu, bei einer wesentlichen Dachsanierung zu prüfen, ob die Errichtung einer Photovoltaik-Anlage (PV-Anlage) technisch und wirtschaftlich möglich ist. Soweit keine unzumutbaren Härten entgegenstehen, muss eine PV-Anlage auf mindestens 30 Prozent der nutzbaren Dachfläche installiert werden.
Diese 30-Prozent-Regel bezieht sich ausdrücklich auf die Netto-Dachfläche, nicht auf die Bruttodachfläche.
Beispiel: Beträgt die Bruttodachfläche 1.000 Quadratmeter, von denen durch Aufbauten und Abstände nur 700 Quadratmeter technisch nutzbar sind, bezieht sich die 30-Prozent-Pflicht auf diese 700 Quadratmeter Nettofläche. Entsprechend wären mindestens 210 Quadratmeter mit PV-Modulen zu belegen, sofern keine Ausnahmegründe bestehen.
Diese Unterscheidung ist entscheidend, da sie unmittelbaren Einfluss auf die Beurteilung der technischen Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit hat. Beide Aspekte sind künftig regelmäßig Gegenstand sachverständiger Bewertungen.
3. Grenzen der Machbarkeit – technische und wirtschaftliche Bewertung
Nicht jedes Dach eignet sich gleichermaßen für eine PV-Nachrüstung. In der täglichen Begutachtungspraxis treten immer wieder Fälle auf, in denen eine Umsetzung technisch oder wirtschaftlich nicht vertretbar ist.
Typische Ursachen sind:
- unzureichende Tragreserven der Dachkonstruktion,
- hohe Punktlasten bei ballastierten Systemen,
- unzureichende Befestigungsgrundlagen oder Aufbauten,
- erhöhte Wind- oder Schneelasten,
- brandschutztechnische Einschränkungen
- sowie ein wirtschaftlich ungünstiges Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag.
In solchen Fällen kann die Verpflichtung entfallen, sofern die Unzumutbarkeit nachvollziehbar belegt wird. Die Bewertung erfolgt in der Regel durch ein sachverständiges Gutachten, das technische, statische und wirtschaftliche Kriterien erfasst. Nur so kann gegenüber Behörden oder Versicherern eine Ausnahme rechtssicher begründet werden.
4. Neue Zuordnung im Handwerksrecht – Photovoltaik ist Dachdeckerarbeit
Ein wesentlicher Fortschritt für die Praxis war die Überarbeitung des Abgrenzungsleitfadens durch den Deutschen Handwerkskammertag (DHKT) und die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) im Jahr 2025. Damit wurde klargestellt, dass die Montage von Photovoltaik-Anlagen – unabhängig von der Befestigungsart – eindeutig dem Dachdeckerhandwerk zugeordnet ist. Damit endet eine langjährige Unsicherheit, nach der ballastierte oder aufliegende Systeme teilweise als „Minderhandwerk“ galten und ohne Eintragung in die Handwerksrolle ausgeführt werden konnten.
Ab sofort dürfen PV-Anlagen nur durch Meisterbetriebe der Anlage A zur Handwerksordnung montiert werden – also insbesondere durch Dachdecker-, Klempner- oder Elektromeisterbetriebe. Dies sorgt für eine klare Verantwortungszuordnung und erhöht die Qualität der Ausführung, insbesondere bei statisch sensiblen Flachdächern.
5. Politische Rückendeckung und Praxisbeispiel
Bei einer Begehung des Dachdeckerbetriebs Neubauer Bedachungen in Marl wurde diese Thematik auch politisch aufgegriffen. Die parlamentarische Staatssekretärin Gitta Connemann, MdB, Beauftragte der Bundesregierung für den Mittelstand, bestätigte am 21. Oktober 2025, dass:
„Die Montage von Photovoltaik-Anlagen – mit Ausnahme sogenannter Balkon-PV – grundsätzlich den zulassungspflichtigen Handwerken der Anlage A zur Handwerksordnung vorbehalten ist.“
Selbst bei aufliegenden Systemen ohne Dachdurchdringung seien Tragfähigkeit, Wind- und Schneelast sowie Sicherheitsaspekte zwingend zu berücksichtigen. Damit ist auch politisch eindeutig geregelt, dass die Montage von PV-Anlagen ausschließlich durch qualifizierte Fachbetriebe erfolgen darf.
6. Voraussetzung für belastbare Gutachten
Für die öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen des Dachdeckerhandwerks führt diese Entwicklung zu einem deutlich erhöhten fachlichen Aufwand. Neben der Beurteilung der Abdichtung, des Dachaufbaus und der Bauphysik rückt zunehmend die statische Bewertung in den Mittelpunkt.
In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die statische Berechnung – insbesondere bei älteren Gebäuden ohne vorhandene Nachweise – nicht durch den Sachverständigen allein erbracht werden kann. Hier hat sich eine enge Kooperation mit qualifizierten Tragwerksplanern oder Statikern als sinnvollste und effektivste Vorgehensweise erwiesen. Durch diese Zusammenarbeit kann ein technisch belastbares Ergebnis erzielt werden, insbesondere bei der Beantragung von Ausnahmegenehmigungen nach der 30-Prozent-Regel.
Darüber hinaus ist zu betonen, dass öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige bei derartigen Fragestellungen als unabhängige, weisungsfreie Personen agieren. Sie sind nicht an wirtschaftliche Interessen gebunden und gewährleisten damit die notwendige Neutralität, die eine objektive und unbeeinflusste Bewertung ermöglicht. Gerade in Fällen, in denen wirtschaftliche Erwägungen und technische Grenzen aufeinandertreffen, ist diese Unabhängigkeit von entscheidender Bedeutung, um Interessenkonflikte zwischen Ausführung, Wirtschaftlichkeit und fachlicher Beurteilung zu vermeiden.
Den kompletten Beitrag lesen Sie in DDH 11. 2025.

