Digitalisierung: KI ist im Handwerk angekommen – und zwar mitten in Kerpen. Wie Over Dach mit Neugier und Pragmatismus vom ersten KI-Experiment zur echten Prozessinnovation gelangte, zeigt ein Beispiel, das Mut macht: für mehr Effizienz, Wissenstransfer und Digitalisierung im Betrieb.
Wer durch das direkt an der A4 gelegene Industriegebiet im nordrhein-westfälischen Kerpen fährt, dem fällt der Sitz der Over Dach GmbH kaum besonders ins Auge. Ein größerer, aber typischer Handwerksbetrieb in einem modernen Hallenbau. Doch der erste Eindruck täuscht: Im Gespräch mit Geschäftsführer Oliver M. Oettgen und Prokurist Volker Blees wird schnell klar, dass hier weit mehr als das übliche Tagesgeschäft passiert. Die Firma hat sich in den vergangenen zwei Jahren einen Platz unter den fortschrittlichsten Handwerksbetrieben erarbeitet, wenn es um den Einsatz künstlicher Intelligenz geht.
Chatbots und Bildgeneratoren
Der Einstieg in die KI-Welt war bei Over Dach kein strategischer Masterplan, sondern entsprang zunächst der privaten Neugier von Volker Blees. „Mich hat das Thema KI einfach privat interessiert“, erzählt er. „Ich wollte verstehen, was da technisch passiert, habe die ersten Chatbots und Bildgeneratoren ausprobiert und mich dann stärker mit Sprachmodellen und den Grundlagen Künstlicher Intelligenz beschäftigt.“
Diesen spielerischen Zugang sehen die beiden Unternehmenslenker auch heute als idealen Einstieg für andere Betriebe: unkompliziert ausprobieren, erste Aha-Erlebnisse sammeln und dann gezielt weitermachen. „Das kostet zunächst mal nur 20 Euro im Monat für den Zugang zu ChatGPT und bietet dafür gewaltige Möglichkeiten“, ergänzt Oettgen.
Schon bald zeigte sich, wie viel Potenzial in diesen Anwendungen auch für das Handwerk steckt. Gerade bei alltäglichen Aufgaben wie E-Mail-Korrespondenz, Textentwürfen, Präsentationen, Angebotserstellung oder Dokumentation leistet KI wertvolle Unterstützung und hilft, spürbar Zeit zu sparen.
Programmierkenntnisse in Python, Javascript und verschiedenen Automationstools
Der erste systematische KI-Einsatz drehte sich zunächst um die Generierung von Inhalten: Social-Media-Beiträge, Schulungsunterlagen oder PowerPoint-Präsentationen entstanden nun unterstützt durch passende Tools. „Gerade im Handwerk sind viele keine geborenen Texter“, sagt Oettgen. „KI unterstützt uns enorm bei Mails, Textdokumenten, Präsentationen, Angeboten, Dokumentationen – das spart Zeit und Nerven.“
Der Erfolg auf dieser Ebene weckte den Ehrgeiz, mehr zu erreichen. Blees eignete sich, ganz nach seinem Motto „Lebenslanges Lernen“ Programmierkenntnisse in Python, Javascript und verschiedenen Automationstools an und machte sich mit der Nutzung von HTTP-Requests und API-Schnittstellen vertraut. Damit öffnete sich für Over Dach das nächste Feld: die Integration von KI in automatisierte betriebliche Prozesse.
Beispiel KI gestützte Angebotskalkulation und Qualitätssicherung
Einer der größten Hebel liegt in der Angebotskalkulation – ein Bereich, der traditionell viel Zeit bindet und oft ohne direkten Ertrag bleibt. Aktuell entwickelt der Handwerksbetrieb ein KI-gestütztes System, das mithilfe firmeneigener Angebotsdaten nahezu vollautomatisch erste Angebotsentwürfe erstellt. „Gerade dieser Bereich frisst enorm viel Zeit“, betont Blees. „Und im schlimmsten Fall investiert man Stunden in ein Angebot, ohne den Auftrag zu erhalten.“
Statt stundenlang manuell zu kalkulieren, prüft der Kalkulator künftig die von der KI erarbeiteten Vorschläge. Bereits jetzt zeichnet sich eine deutliche Zeitersparnis ab, perspektivisch sollen sogenannte KI-Agenten auch die Plausibilitätsprüfung übernehmen.
Außerdem verfolgt Volker Blees das ambitionierte Ziel, zukünftig mittels bildverarbeitender KI und entsprechenden Klassifizierungs-Algorithmen die technische Ausführung der Arbeiten auf den Baustellen in Echtzeit auszuwerten, um so die Mitarbeiter bei technischen Herausforderungen mittels KI zu unterstützen und potenzielle Fehlerquellen frühzeitig erkennen zu können.
Langfristig soll das Thema KI in Form von virtuellen Arbeitsräumen auch in die Ausbildung des Nachwuchses eingebunden werden. Mittels VR-Brillen und Augmented Reality werden die Azubis zukünftig in konkreten Einbausituationen von KI angeleitet, wie die handwerklichen Schritte korrekt auszuführen sind.
Kooperation mit Handwerk.Digital
Dieses ambitionierte Projekt entsteht im Rahmen der Digitalisierungswerkstatt von Mittelstand-Digital Zentrum Handwerk. Hier profitieren Betriebe von der Expertise erfahrener KI- und Automatisierungsspezialisten. Over Dach sieht darin nicht nur einen Vorteil für den eigenen Betrieb: Die Vision ist es, eine Lösung zu entwickeln, die auch für andere Handwerksunternehmen schnell und einfach einsetzbar wird.
KI im Alltag: greifbare Beispiele
Wie sehr KI inzwischen den Alltag bei Over Dach prägt, zeigt ein Blick auf konkrete Anwendungen. So entstehen Schulungsvideos heute aus wenigen Stichpunkten: Tools wie Gamma verwandeln sie in professionell gestaltete Präsentationen. Daraus lassen sich wiederum Videos samt Voice-Over und KI-Avatar generieren – ein Aufwand, der früher externe Dienstleister erfordert hätte. „Das hätte mich früher Stunden gekostet und jetzt dauert es vielleicht eine halbe Stunde“, sagt Blees. „Das ist natürlich der Hammer.“
Auch die Social-Media-Produktion ist weitgehend automatisiert: Audioaufnahmen, etwa aus Oettgens Podcast, werden von der KI transkribiert und in fertige Posts samt Hashtags und passenden Texten umgewandelt. „Ich lege die Tonspur einfach in einem bestimmten Ordner ab, und der Rest läuft automatisch“, erklärt Oettgen.
Ein besonders wirkungsvolles Beispiel liefert das Baustellenkommunikationstool „Benetics“: Mitarbeitende dokumentieren ihre Arbeiten per Spracheingabe – in ihrer jeweiligen Muttersprache. Die App transkribiert, übersetzt und ordnet die Inhalte automatisch dem jeweiligen Projekt zu. „Das war für alle, selbst für die, bei denen ich Bedenken hatte, ein solches Erlebnis, dass ich keinen hatte, den ich nochmal ansprechen oder nachschulen musste“, berichtet Oettgen.
Perspektiven: Wissen sichern, Qualität steigern
Gerade im Handwerk droht durch Personalfluktuation und den demografischen Wandel wertvolles Erfahrungswissen verloren zu gehen. Ein Problem, das auch Oliver M. Oettgen und Volker Blees zunehmend beschäftigt. Ihre Antwort darauf: der Aufbau eines internen Wissens-Avatars. Dieser soll als digitaler Ansprechpartner fungieren und den Mitarbeitenden schnell und unkompliziert auf Fragen antworten. „Wir wollen damit erreichen, dass das Know-how im Betrieb bleibt und allen zur Verfügung steht“, erklärt Oettgen. Ein Ansatz, der weit über reine Effizienzsteigerung hinausgeht und das Thema Qualitätssicherung und Weiterbildung im Betrieb langfristig stärken soll.
Akzeptanz schaffen durch praktische Erfolge
Dass KI im Betrieb so erfolgreich eingeführt werden konnte, liegt nicht zuletzt an der gewählten Herangehensweise. Statt großen Ankündigungen setzten Oettgen und Blees auf konkrete Quick-Wins: Lösungen, die den Arbeitsalltag spürbar erleichtern. Gerade das Baustellen-Tool „Benetics“ hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Dessen Nutzen sprach sich im Betrieb schnell herum und trug entscheidend zur positiven Grundhaltung gegenüber KI-Anwendungen bei.
Vom Vorreiter zum Impulsgeber
Trotz aller Fortschritte will Over Dach kein KI-Startup werden. Der Weg bleibt bewusst schrittweise: ein Projekt nach dem anderen. Doch längst ist klar: KI bietet dem Handwerk neue Chancen – nicht nur in Sachen Effizienz, sondern auch als Zugang zu mehr Kopfarbeit und Inklusion. „Wir sind überzeugt: Jeder Dachdeckerbetrieb kann davon profitieren“, sagt Blees. Inzwischen denken Oettgen und Blees sogar darüber nach, ihr Team um eine IT-Fachkraft zu erweitern, um die wachsenden digitalen Potenziale noch gezielter auszuschöpfen.
Das Beispiel Over Dach zeigt: Mit Neugier, Kreativität, Ehrgeiz und einem schrittweisen Vorgehen lässt sich KI im Handwerk sinnvoll und praxisnah einsetzen. Wer bereit ist, sich disruptiven Entwicklungen mit offenem Visier zu stellen und sich auf die Möglichkeiten einzulassen, kann Prozesse deutlich verbessern und neue Chancen für den Betrieb und die Mitarbeitenden eröffnen. Eine Übersicht der wichtigsten KI-Tools, die bei Over Dach eingesetzt werden, stellt Volker Blees auf Anfrage gerne zur Verfügung: vb@over-dach.com .
Over Dach in Zahlen
- Seit über 150 Jahren Flachdach- und Fassadendienstleister und Partner von Industrie und Hochbau.
- Mit einem Team von 50 engagierten und qualifizierten Mitarbeitern werden auch technisch anspruchsvollen Projekte, wie eine Serverfarm in Amsterdam, der Kö-Bogen in Düsseldorf oder das Aquis Plaza in Aachen realisiert.
- Fullservice Anbieter für sämtliche Ausführungsphasen von der technischen Planung bis zur finalen Umsetzung.