Ein Mann in einem hellblauen Sakko sitzt vor einem unscharfen Hintergrund.
Im Interview spricht ZVDH-Hauptgeschäftsführer Ulrich Marx über den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. (Quelle: ZVDH)

Markt 2025-06-02T08:36:06.357Z „Viele gute Ansätze, aber zu viele Fragezeichen“

Interview: Die Bundesregierung ist gestartet, die Ministerinnen und Minister haben ihre Arbeit aufgenommen. Ein guter Zeitpunkt also, um einmal aus Sicht des Dachdeckerhandwerks auf das Programm zu schauen, das sich die Koalition aus CDU und SPD gegeben hat. Dazu haben wir ZVDH-Hauptgeschäftsführer Ulrich Marx befragt.

Herr Marx, der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung liegt vor. Wie fällt Ihre erste Einschätzung aus?

Der Vertrag ist eine Mischung aus dringend notwendiger Medizin und einigen bitteren Pillen. Es gibt schon viele gute Ansätze, zum Beispiel die degressive Abschreibung in Höhe von 30 Prozent bis 2027 oder die Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß. Und natürlich begrüßen wir die angekündigten Versprechen, dem Bürokratiemonster zu Leibe zu rücken. Und sehr gut klingt in unseren Ohren, dass Anträge künftig als genehmigt gelten, sofern die zuständige Behörde innerhalb einer bestimmten Frist keine Entscheidung trifft. Das kann Verfahren in vielen Fällen deutlich beschleunigen. Auch die geplanten Lockerungen bei der Schriftform im Arbeitsrecht und die Digitalisierung von Antragsverfahren befürworten wir. Aber: An vielen Stellen fehlen konkrete Ausführungen oder klare Definitionen – das macht eine fundierte Bewertung schwierig.

Zum Dauerbrenner Bürokratieabbau: Ist hier ein Durchbruch gelungen?

Tja, da bin ich eher verhalten optimistisch. Wir haben letztes Jahr das 4. Bürokratie-Entlastungsgesetz vorgelegt bekommen, in dem weniger Zettel und mehr Wirtschaft versprochen wurde. Das haben wir jetzt im Dachdeckerhandwerk noch nicht so wirklich wahrgenommen. Und auch jetzt: Es wird viel Gutes versprochen, zum Beispiel weniger Nachweispflichten oder das „Once-Only“-Prinzip beim Datenaustausch, also das einmalige Übermitteln von Unternehmensdaten an die Behörden. Positiv sehen wir auch die Abschaffung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes und die geplante Regelung, für jedes neue Gesetz zwei alte abzuschaffen, entfaltet natürlich ebenfalls einen gewissen Charme. Aber entscheidend ist, was davon tatsächlich und spürbar umgesetzt wird. In der Vergangenheit wurde hier leider oft viel angekündigt – und wenig gehalten.

Schauen wir nochmal im Detail auf die Bereiche Wirtschaft und Steuern. Wo sehen Sie hier Stärken?

Die Einführung eines sogenannten Deutschlandfonds zur Investitionsförderung, teilweise über KfW-Mittel, ist ein positives Signal. Ebenso die angekündigte Vereinfachung des Gebäudeenergiegesetzes – wobei wir hier natürlich erst abwarten müssen, was das konkret bedeutet. Wichtig für uns ist auch, dass die Fachlosvergabe im öffentlichen Auftragswesen erhalten bleibt. Damit wird kleineren Betrieben weiterhin eine faire Beteiligung ermöglicht. Grundsätzlich sind auch die geplanten Steuererleichterungen richtig – etwa die Senkung der Körperschaftsteuer oder die Entlastung bei der Einkommensteuer.

Und wo liegen die Schwächen?

Die geplante Senkung der Körperschaftsteuer kommt erst ab 2028 – das ist einfach viel zu spät. Und bei der Einkommensteuer bleibt völlig offen, was unter „mittleren Einkommen“ verstanden wird. Gerade im Handwerk arbeiten die meisten Unternehmen als Personengesellschaften. Da braucht es eindeutige und faire Regelungen. Es darf nicht nur um Kapitalgesellschaften gehen.

Der Arbeitsmarkt ist ein weiterer zentraler Punkt. Was bringt der Koalitionsvertrag hier mit sich?

Positiv ist die Einführung einer Altersvorsorgepflicht für alle Selbstständigen – das schafft endlich Klarheit und langfristige Absicherung. Auch die Entbürokratisierung bei der Beschäftigung von Rentnern, die Aufhebung der täglichen Höchstarbeitszeit zugunsten eines Wochenlimits und der geplante Mutterschutz für Selbstständige sind richtige Schritte. Vor allem der letzte Punkt ist wichtig, um auch Unternehmerinnen im Handwerk mehr Sicherheit zu geben. Hier haben Mütter in selbstständiger Funktion eindeutig Nachteile, die oft sogar existenzbedrohend sind.

Gibt es auch Kritikpunkte?

Ja, etwa bei der elektronischen Arbeitszeiterfassung. Dass sie nun für alle Mitarbeitenden gelten soll, also auch für Angestellte in Büro und Verwaltung, ist ein erheblicher bürokratischer Mehraufwand. Auch die steuerliche Begünstigung von Mehrarbeitszuschlägen schon ab einer 35-Stunden-Woche ist für viele Handwerksbetriebe realitätsfern und schafft falsche Anreize im Bereich flexibler Arbeitszeitmodelle, wie wir sie im Dachdeckerhandwerk tariflich vorgesehen haben. Ebenso wie beim Thema Mindestlohn gilt auch hier: Weniger Staat, mehr Tarifautonomie.

Thema Fachkräftemangel: Gibt es hier positive Signale?

Der Wille zur qualifizierten Einwanderung ist da, das ist gut. Die „Work and Stay-Agentur“ kann helfen, wenn sie tatsächlich entlastet – nicht aber, wenn sie neue Hürden aufbaut. Entscheidend ist: Wir brauchen keine weiteren bürokratischen Schleifen, sondern eine einfache, praxisnahe Lösung. Auch die Idee eines Freiwilligenjahres im Handwerk halte ich für sehr sinnvoll. Das kann helfen, jungen Menschen einen realistischen und positiven Eindruck vom Beruf zu vermitteln.

Ein Mann in einem hellblauen Anzug sitzt an einem Tisch und gestikuliert mit den Händen.
Ulrich Marx begrüßt die Förderung von Betriebsübergaben, denn in den nächsten Jahren stehen viele Betriebe zur Nachfolge an. (Quelle: ZVDH)

Ein Wort zur Normung?

Dass KMU stärker in die Normungsarbeit einbezogen werden sollen, begrüßen wir ausdrücklich. Bei den Aussagen zum Gebäudetyp E ist allerdings Vorsicht geboten. Abweichungen von den anerkannten Regeln der Technik können aus fachlicher Sicht durchaus kritisch sein – insbesondere, wenn es um sicherheitsrelevante Aspekte geht. Hier braucht es klare Leitplanken.

Können Sie das etwas genauer fassen?

Gern. Ein flexibler Umgang mit den Technikregeln kann Dachdeckerbetriebe durchaus auch entlasten, da sie durch umfangreiche Nachweis- und Aufklärungspflichten bisher oft benachteiligt wurden. Allerdings stellen die anerkannten Regeln in vielen Fällen auch wichtige Mindeststandards für die fachgerechte Ausführung von Arbeiten dar, von denen nicht leichtfertig abgewichen werden sollte. In den Ausführungen zum Gebäudetyp E, den das Justizministerium letztes Jahr vorgestellt hat, wurde davon gesprochen, dass ein problemloses Abweichen nur für nicht sicherheitsrelevante Normen und Fachregeln erlaubt sei. Das klingt ja erst mal unverfänglich und gut, aber: Es bleibt unklar, wie genau zwischen sicherheitsrelevanten Normen und solchen, die lediglich Komfort- oder Ausstattungsmerkmale betreffen, unterschieden wird. Im Streitfall soll dann ein Gericht entscheiden. Das wiederum ist nicht das, was ich mir unter weniger Bürokratie und schnellem Bauen vorstelle. Wir fordern deshalb klare Abgrenzungskriterien im Gesetz, die bislang fehlen. Zudem enthalten viele Teile des Regelwerks des Dachdeckerhandwerks sowohl sicherheitsrelevante als auch nicht sicherheitsrelevante Vorgaben. Laut Gesetzesbegründung wird jedoch stets die gesamte Normungseinheit als Maßstab genommen, was in der Praxis problematisch ist. Das muss klarer definiert werden. Gerade für das Dachdeckerhandwerk als „gefahrgeneigtes Handwerk“ muss klargestellt werden, dass sein umfangreiches Regelwerk in der Gesamtheit als sicherheitsrelevant zu betrachten ist und vor Gefahren für die Gesundheit oder für das Leben Dritter präventiv schützt.

Wie steht es um die Investitionen in die Ausbildung?

Das klare Bekenntnis zur dualen Ausbildung freut uns natürlich ebenso wie die angekündigte Anhebung der Investitionsförderung für unsere ÜLU-Stätten. Hier herrscht seit Jahren ein Investitionsstau, der endlich aufgelöst werden muss. Auch die Förderung von Betriebsübergaben ist ein wichtiges Signal, denn in den nächsten Jahren stehen viele Betriebe zur Nachfolge an.

Und was sagen Sie zum Thema erneuerbare Energien und Photovoltaik?

Der Ausbau der Photovoltaik ist nach wie vor ein großes Thema für unser Handwerk. Es ist gut, dass hier endlich Tempo gemacht werden soll. Weniger Bürokratie, schnellere Abschreibungen und digitale Prozesse bei der Anmeldung – das sind alles Punkte, die unsere Betriebe direkt betreffen und ihnen die Arbeit erleichtern. Wichtig ist aber, dass die Rahmenbedingungen praxistauglich bleiben. Das betrifft auch die Förderprogramme für die energetische Sanierung von Dächern und Fassaden. Hier muss Verlässlichkeit und Planungssicherheit geschaffen werden. Ein guter Ansatz ist dabei zumindest die Wiedereinführung der Förderung des EH55-Standards bei älteren Gebäuden.

Was erwarten Sie nun von der Regierung?

Wir erwarten, dass die guten Ansätze jetzt zügig und praxisnah umgesetzt werden. Der Koalitionsvertrag liefert die notwendigen Instrumente. Der 500-Milliarden-Euro-Infrastrukturfonds sollte dringend vor der Sommerpause angekurbelt werden, um Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Energieeffizienz anzustoßen. Und der geplante Bürokratieabbau darf nicht länger nur ein Lippenbekenntnis sein, sondern muss konkret, spürbar und praxistauglich werden. Hier führt der Leidensdruck der Betriebsinhaber mittlerweile dazu, ans Aufgeben zu denken: ein fatales Signal. Denn der Regierung muss klar sein: Ohne Dachdecker-
handwerk keine Klimawende! Und wir wünschen uns, dass das Handwerk nicht nur in Sonntagsreden gelobt wird, sondern wir in konkreten Gesetzgebungsverfahren auch gefragt werden. Wir stehen bereit, unsere Erfahrung einzubringen.

zuletzt editiert am 02. Juni 2025