Ein Mann in einem weißen Hemd sitzt an einem Tisch mit einem Laptop und einem Glas Wasser, während er gestikuliert.
Seit Langem tief mit dem Dachdeckerhandwerk verbunden: Dirk Sindermann, neuer Vizepräsident des ZVDH (Quelle: Sindermann)

Markt 2025-05-05T08:34:32.194Z Zeigen, was Handwerk ausmacht

Interview: Am 28. März wurde Dirk Sindermann zum neuen ZVDH-Vizepräsidenten gewählt. Im Interview erzählt er uns von seiner Motivation, für dieses Amt zu kandidieren, welche Themen ihn umtreiben und welche Akzente er in den nächsten drei Jahren setzen möchte.

Herr Sindermann, herzlichen Glückwunsch zur Wahl als ZVDH-Vizepräsident! Wie haben Sie den Moment der Wahl erlebt?

Es war ein spannender Tag, und natürlich war die Anspannung groß. Auch wenn ich mich gut auf meine Rede vorbereitet hatte, ist so ein Moment etwas ganz Besonderes. Die Delegiertenversammlung hat mich sehr beeindruckt – die Größe des Raums, die Zahl der Anwesenden, das Gewicht der Entscheidung. Vor rund 400 Menschen zu sprechen, den eigenen Standpunkt zu vermitteln und dann auch noch das Vertrauen der Delegierten zu gewinnen – das hat mich sehr gefreut und bewegt. Ich bin dankbar für das Vertrauen und gleichzeitig hochmotiviert, dieser Verantwortung gerecht zu werden.

Sie sind seit vielen Jahren ehrenamtlich aktiv. Was hat Sie motiviert, für das Amt des Vizepräsidenten zu kandidieren?

Ich bin seit Langem tief mit dem Dach-
deckerhandwerk verbunden – sei es als Unternehmer oder durch meine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Mir ist es wichtig, unsere Betriebe zu unterstützen, den Zusammenhalt in der Branche zu stärken und das Handwerk zukunftsfähig zu machen. Der direkte Austausch mit Kolleginnen und Kollegen treibt mich an, und ich möchte ihre Anliegen bundesweit auf Verbandsebene vertreten.

Welche Erfahrungen aus Ihrer bisherigen Tätigkeit als Innungsobermeister und Vorstandsmitglied des Landesverbands Westfalen bringen Sie in Ihre neue Rolle mit?

Durch meine bisherigen Ämter bin ich nah an den Betrieben dran – ganz praktisch und ganz menschlich. Als Obermeister der Dachdecker-Innung Dortmund und Lünen, als Vorstandsmitglied im Landesverband Westfalen und in der Kreishandwerkerschaft Dortmund-Hagen-Lünen, als Fachausschuss-Mitglied beim Zentralverband und ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht in Dortmund habe ich viele Perspektiven kennengelernt. Ich kenne die Herausforderungen – von der Nachwuchsgewinnung über den Umgang mit Bürokratie bis hin zu neuen Technologien. Diese Erfahrungen helfen mir, die Themen der Betriebe gezielt einzubringen – nicht theoretisch, sondern mit Blick auf die Praxis und den Alltag im Handwerk.

Welche Themen liegen Ihnen als Vizepräsident besonders am Herzen?

Mir geht es vor allem um drei Dinge: Erstens: eine starke Öffentlichkeitsarbeit, die unsere Organisation und unsere Innungen sichtbar macht, Vertrauen schafft und echte Mehrwerte für Betriebe kommuniziert. Zweitens: die Stärkung des Ehrenamts – durch klare Strukturen, hilfreiche Werkzeuge und echte Entlastung für alle, die Verantwortung übernehmen. Und drittens: eine Digitalisierung, die uns den Rücken freihält – für unsere Kunden, für unsere Mitarbeitenden und für unsere Familien.
So bringen wir zusammen, was uns ausmacht: unsere handwerkliche Herkunft, unsere Verantwortung für die Zukunft – und die Bereitschaft, gemeinsam neue Wege zu gehen.

Sie betonen die Bedeutung der Innungen. Wie kann es gelingen, mehr Betriebe von einer Mitgliedschaft zu überzeugen?

Die Öffentlichkeitsarbeit und die Förderung unserer Innungen gehören für mich ganz klar zusammen. Wir müssen den Betrieben viel deutlicher zeigen, warum die Innung ein echter Gewinn für sie ist – ganz gleich, ob sie neu gestartet oder schon etabliert am Markt sind. Das gelingt nur mit Formaten, die sie wirklich ansprechen: lebendig, praxisnah und mit echtem Mehrwert.
Die Marke „Innung“ muss wieder als Qualitätssiegel wahrgenommen werden. Und das schaffen wir nur, wenn sich jeder Betrieb auf den ersten Blick denkt: Hier bin ich richtig. Hier finde ich Wissen, ein Netzwerk und konkrete Unterstützung.
Gleichzeitig ist klar: Ohne das Ehrenamt funktioniert keine Innung. Deshalb muss Ehrenamt einfach machbar sein – durch klare Abläufe, direkte Unterstützung und schnellen Zugriff auf erprobte Inhalte. Wir brauchen dafür eine zentrale digitale Plattform: Eine, die Antworten liefert, statt Fragen aufzuwerfen. Mit fertigen Vorlagen, bewährten Konzepten und einem transparenten Austausch zwischen den Innungen. Damit niemand mehr Zeit verliert mit Suchen oder Planen – sondern sich auf das konzentrieren kann, was wirklich zählt: das gemeinsame Engagement für unser Handwerk. Wer bereits Verantwortung übernimmt, verdient dafür klare Strukturen, hilfreiche Werkzeuge und echte Unterstützung – genau das muss unser Anspruch an moderne Ehrenamtsarbeit sein. Und wenn das gelingt, braucht es niemanden mehr, der aktiv rekrutiert – denn dann wollen Betriebe aus Überzeugung Teil dieser starken Gemeinschaft sein.

Sie sprechen es gerade an: Fehlende Nachfolger und Fachkräftemangel sind große Herausforderungen. Wie kann das Dachdeckerhandwerk für junge Menschen attraktiver werden?

Wir müssen zeigen, was unser Handwerk wirklich ausmacht – und das beginnt mit echter Nähe und ehrlichen Einblicken. Junge Menschen suchen Sinn, Gemeinschaft und Perspektiven. Genau das bietet das Dach-
deckerhandwerk – aber wir müssen es auch erlebbar machen. Und wir müssen zeigen: Es gibt nicht nur einen Weg. Neben Ausbildung und Meisterschule gibt es heute auch das triale Studium, das Ausbildung, Meisterbrief und einen Bachelorabschluss im Handwerksmanagement verbindet. Das zeigt: Wer sich entwickelt, dem stehen im Handwerk alle Türen offen – vom ersten Tag auf der Baustelle bis zur unternehmerischen Verantwortung.
Kooperationen mit Schulen, Mitmachaktionen, Social Media, Betriebserkundungen – all das hilft, Berührungsängste abzubauen und Begeisterung zu wecken. Entscheidend ist: Es muss echt sein, nicht gestellt. Junge Menschen merken sofort, ob etwas nur inszeniert ist oder wirklich gelebt wird.
Vor Kurzem haben wir eine Nachricht von der Mutter eines Praktikanten erhalten. Sie schrieb, dass ihr Sohn an jedem Tag strahlend nach Hause kam – auch wenn es körperlich anstrengend war. Er habe ein tolles Team kennengelernt, und sie schrieb sogar: „Unser Sohn könnte sich sehr gut vorstellen, ein Dachdecker zu werden.“ Solche Rückmeldungen zeigen, was möglich ist, wenn wir jungen Menschen auf Augenhöhe begegnen – mit Respekt, Offenheit und Vertrauen.
Projekte wie „Handwerk macht Schule“ gehen genau in diese Richtung. Unsere Arbeitsblätter zur Trigonometrie am Dach bringen den Beruf ganz selbstverständlich in den Unterricht. Und dass über 90 Betriebe im Rahmen der Digitalisierungswerkstatt eigene KI-Projekte entwickeln, sendet ein starkes Signal: Unser Handwerk ist bereit, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen – und nutzt digitale Werkzeuge ganz praktisch für den Alltag.
Wir müssen diese positiven Beispiele aktiver kommunizieren. Damit junge Menschen sehen: Das Dachdeckerhandwerk ist modern, verantwortungsvoll – und ein Beruf mit echter Zukunft. Denn in Zeiten von Energiewende und den Folgen des Klimawandels ist unser Handwerk längst systemrelevant – und genau deshalb blicke ich mit Zuversicht in eine starke Zukunft für unser Dachdeckerhandwerk.

Welchen Stellenwert hat die Digitalisierung für Sie im Handwerk – insbesondere im Hinblick auf Entlastung, Weiterbildung und den Arbeitsalltag?

Digitalisierung bedeutet für mich: mehr Zeit für das Wesentliche. Sie soll uns entlasten – nicht hemmen oder aufhalten. Digitalisierung und KI geben uns die Möglichkeit, die Zeit am Schreibtisch effektiver nutzen zu können – und somit mehr Zeit zu gewinnen: für das Team, für den Kundenkontakt, für die Baustelle oder auch für die eigene Familie. 
Mit KI-gestützten Assistenten lassen sich heute viele Fragen sofort beantworten – zum Beispiel durch verständliche Formulierungen technischer Zusammenhänge, Abwägungshilfen bei Entscheidungen, Formulierungsvorschläge für Geschäftskommunikation oder das strukturierte Erfassen komplexer Inhalte in klarer Sprache. Protokolle können automatisch mitgeschrieben, transkribiert und direkt formatiert werden. Prozesse lassen sich sichtbar machen und Abläufe spürbar optimieren. 
Gerade in unserem umfangreichen Regelwerk kann der gezielte Einsatz von KI einen echten Mehrwert schaffen – indem er hilft, Informationen schneller zu finden und praxisnah zugänglich zu machen. 
Grundregeln, Fachregeln, Hinweise, Merkblätter, Produktdatenblätter, Planungshilfen – und noch vieles mehr: Normen, Berechnungshilfen und nachweisfreie Konstruktionen. 
Durch KI-gestützte Optimierungen können all diese Informationen schnell gefunden und direkt abrufbar sein – ohne Umwege, ohne Querverweise, ohne zeitraubende Recherche. 
Auch in der Weiterbildung steckt großes Potenzial. Präsenzveranstaltungen bleiben unverzichtbar – aber digitale Formate, die jederzeit abrufbar sind, ermöglichen es, Weiterbildung an die persönlichen Bedürfnisse und den individuellen Alltag anzupassen. 
Eine zentrale Mediathek, die all diese Inhalte bündelt – praxisnah, übersichtlich und ohne Zugangshürden –, wäre eine sinnvolle und zukunftsfähige Lösung.

Sie sprechen von einer stärkeren Vernetzung zwischen den Landesverbänden und dem ZVDH. Welche Synergien möchten Sie konkret fördern?

In den Landesverbänden gibt es bereits viele gute und funktionierende Konzepte – sei es in der Nachwuchsgewinnung, Weiterbildung oder Öffentlichkeitsarbeit. Aber oft wird das Rad trotzdem neu erfunden – nicht aus bösem Willen, sondern weil es an Transparenz fehlt: Wer hat was? Wer braucht was? Und wie kommt ein funktionierendes Konzept dorthin, wo es gerade gebraucht wird?
Genau da liegt ein großer Hebel. Wir brauchen eine zentrale Plattform, auf der sichtbar wird, welche Ideen und Lösungen bereits existieren – und wie sie übertragen oder gemeinsam weiterentwickelt werden können. Wenn an einer Stelle ein Mehrwert entsteht, sollte sofort erkennbar sein, wo dieser ebenfalls gebraucht wird. So lassen sich Synergieeffekte nutzen und neue Konzepte direkt mitdenken – statt sie später doppelt zu entwickeln. Transparenz schafft Tempo – und eine zentrale Plattform schafft Verbindung. So entstehen Synergien, bevor doppelte Arbeit überhaupt beginnt.

Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit mit der Industrie und dem Fachhandel?

Industrie und Fachhandel sind für unser Handwerk unverzichtbare Partner – bei der Nachwuchsgewinnung genauso wie bei Innovationen in Technik und Material. Gute Kooperation entsteht durch Austausch auf Augenhöhe.
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit den Vertreterinnen und Vertretern aus Industrie und Handel – auch im Rahmen der Aktion DACH. Viele kenne ich bereits aus meinen beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten – umso schöner, jetzt auch auf Bundesebene gemeinsam Ideen weiterzuentwickeln.

Das ausführliche Interview lesen Sie in DDH 05.2025.

zuletzt editiert am 05. Mai 2025