Ein Mann in schwarzem T-Shirt und Jeansshorts geht über eine Baustelle auf einem Dach, während im Hintergrund Bauarbeiten stattfinden.
Klaus Marquardt berät Dachdecker in Sachen Betriebsführung. (Quelle: Marquardt)

Digitalisierung 2025-11-18T08:25:42.309Z Fast 500.000 Euro – einfach weg?

Controlling: Eine Brötchenpause kostet ein paar Euro – Dienst nach Vorschrift fast eine halbe Million. Klaus Marquardt erklärt, weshalb Controlling auf Ergebnisse setzt und nicht auf kleinliche Kontrolle.

Als junger Lehrling habe ich es geliebt: morgens noch schnell zum Bäcker oder Metzger, ein Zwiebelfleischkäsebrötchen, ein Nuss-Nougat-Croissant und dazu eine kalte Cola. Mein Onkel hingegen hat dieses Ritual gehasst. Für ihn war es keine kleine Freude vor der Arbeit, sondern eine betriebswirtschaftliche Katastrophe. Er rechnete es mir penibel vor: Zehn Minuten pro Mitarbeiter am Morgen, mal zwanzig Leute im Betrieb – schon waren es 200 Minuten täglich, 1.000 DM pro Woche und stolze 50.000 DM im Jahr. Seine Botschaft war klar: Wer während der Arbeitszeit Brötchen holt, kostet den Betrieb bares Geld.

Damals habe ich das nicht verstanden. Heute, Jahre später, weiß ich: Mein Onkel hatte zwar ein Auge für Zahlen, aber nicht für das eigentliche Problem im Handwerk. Die paar Minuten beim Bäcker sind nicht das, was uns ruinieren kann. Teuer wird es dann, wenn Mitarbeiter innerlich abschalten, weil sie das Gefühl haben, dass ihnen nichts mehr zugetraut wird – und nur noch Dienst nach Vorschrift machen.

Dienst nach Vorschrift – der unsichtbare Kostenfresser

Ein Blick auf die Zahlen macht die Dimension deutlich. Ein Mitarbeiter arbeitet im Jahr rund 1.450 produktive Stunden auf der Baustelle. Mit einem Stundenverrechnungssatz von 82 Euro ergibt das ein beachtliches Volumen: Etwa 55.000 Euro für Lohn und Lohnnebenkosten und rund 64.000 Euro an Deckungsbeitrag und Gewinn. Läuft alles rund, ist das die Basis für einen gesunden Betrieb.

Doch was passiert, wenn die Motivation nachlässt? Wenn ein Mitarbeiter nicht mehr mit Herzblut dabei ist, sondern nur noch 80 % Leistung bringt? Dann sinkt der Deckungsbeitrag pro Kopf auf knapp 51.000 Euro – also fast 13.000 Euro weniger. Gleichzeitig zahlt der Betrieb weiterhin 100 % Lohnkosten, obwohl 20 % der Leistung fehlen. Das bedeutet über 11.000 Euro zusätzliche Kosten – pro Mitarbeiter, pro Jahr.

Hochgerechnet auf 20 Beschäftigte reden wir nicht mehr von Kleckerbeträgen. Es fehlen jedes Jahr fast 500.000 Euro in der Kasse. Das ist zehnmal mehr, als die angeblich „teure“ Brötchenpause meines Onkels je gekostet hat. Hier zeigt sich die eigentliche Bedrohung: nicht im „zu spät losgefahren“, sondern in der schleichenden inneren Kündigung.

Natürlich heißt das nicht, dass man alles laufen lassen darf. Vertrauen darf nicht blind sein. Es braucht ein System, das Ergebnisse messbar macht. Bei uns heißt das: Jede Baustelle wird nachkalkuliert. Wurde sie in der vorgesehenen Zeit erledigt? Ist der Kunde zufrieden? Stimmt die Qualität? Wenn die Antworten passen, spielt es keine Rolle, ob jemand morgens beim Metzger anhält oder mittags zehn Minuten länger Pause macht.

Aber auch das Gegenteil gibt es: Mitarbeiter, die die Leistung bewusst ausbremsen und auf Kosten des Teams ein bequemes Leben führen. Solche Fälle muss man erkennen – nicht, weil man kleinlich ist, sondern weil sie die Motivation der Leistungsträger im Betrieb untergraben. Wer sieht, dass Kollegen weniger schaffen, aber gleich bezahlt werden, verliert selbst irgendwann den Antrieb.

Vertrauen darf deshalb nie grenzenlos sein.

Es muss klar sein: Wer das Vertrauen missbraucht, muss mit Konsequenzen rechnen. Das kann eine Abmahnung sein, das kann auch ein klärendes Gespräch sein – wichtig ist, dass Fehlverhalten sichtbar wird. Denn Gelegenheit macht bekanntlich Diebe, und das gilt auch im Handwerk. Viele Chefs im Handwerk machen den Fehler, Kontrolle mit Controlling zu verwechseln. Kontrolle heißt: GPS-Tracker im Auto, spontane Baustellenbesuche oder gar Abmahnungen wegen jeder Extraminute Pause. Das Ergebnis ist ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem beide Seiten verlieren.

Controlling dagegen misst das System – nicht den einzelnen Handgriff. Es zeigt auf, ob Projekte wirtschaftlich abgeschlossen wurden, wo Schwächen liegen und ob Prozesse stimmen. Und es hilft, Ursachen zu finden: War es wirklich die Leistung der Mitarbeiter? Oder lag es am Wetter, an einer schlechten Vorbereitung oder an fehlendem Material?

Das ist eine völlig andere Haltung. Sie signalisiert: Wir vertrauen dir – solange das Ergebnis stimmt. Und sie verhindert, dass die Leute innerlich abschalten, weil sie sich nur noch überwacht fühlen.

Fazit: Vertrauen als betriebswirtschaftliche Notwendigkeit

Im Dachdeckerhandwerk wird oft über Minuten gestritten – über Pausen, verspätete Abfahrten oder kleine Umwege. Doch in Wahrheit geht es um etwas viel Größeres. Vertrauen ist keine Frage von Wohlwollen, sondern eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Ohne Vertrauen droht Dienst nach Vorschrift – und das kostet ein Vielfaches dessen, was ein belegtes Brötchen am Morgen je gekostet hat.

Deshalb gilt: Der Chef muss in Vorleistung gehen. Mit einem klaren System, das Ergebnisse misst, mit Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Leuten – und mit der Konsequenz, Fehlverhalten nicht durchgehen zu lassen. Nur so entsteht die Basis, dass Mitarbeiter freiwillig alles geben. Und genau das ist im harten Wettbewerb des Handwerks am Ende der entscheidende Unterschied.

Weitere Infos im Blog Klaus vom Dach:

zuletzt editiert am 18. November 2025