Zwei Personen stehen in einer Lagerhalle vor Regalen mit verschiedenen Waren.
Uwe Mittag (links) mit Sohn Jan, der den Dachdeckerbetrieb aus Lünen bald übernehmen wird. (Quelle: Halle/Kühn)

Porträts 2025-07-29T08:10:58.845Z Vom Hörsaal aufs Flachdach

Porträt: Jan Mittag hätte auch eine Karriere in der Industrie machen können – entschieden hat er sich für das Dach. Heute ist der 30-jährige Dachdeckermeister auf dem besten Weg, den Familienbetrieb in Lünen in vierter Generation zu übernehmen.

Nach dem Abitur entschied sich Jan Mittag für ein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens mit Fachrichtung Energietechnik sowie einen Master-Studiengang an der RWTH Aachen. Hier lag sein Fokus auf Thermodynamik, Wärmepumpentechnik und Gebäudesystemen. Besonders prägten ihn interdisziplinäre Projekte, bei denen er mit Bauingenieuren und Architekten Fabrikgebäude plante. „Da habe ich gemerkt, wie viel Freude es macht, technische Lösungen praxisnah umzusetzen“, erinnert sich Mittag.

Dennoch: Gegen Ende seines Bachelorstudiums, schon auf der Zielgeraden des Studiums, reifte bei Jan Mittag der Gedanke: Dachdecker und Unternehmer – das könnte was werden. Nach einem Praktikum folgte die Ausbildung, 2020 der Eintritt in den Betrieb, 2024 dann der Meisterabschluss am BBZ Mayen – und das mit Auszeichnung: Jan Mittag wurde als bester Dachdeckermeister des Jahrgangs sowie zweitbester Jungmeister von insgesamt 678 Absolventen in Koblenz geehrt.

Der Dachdeckerbetrieb Dach Kühn GmbH wurde 1928 gegründet und wird aktuell von Jan Mittags Vater in dritter Generation geführt. Die Übergabe an den Sohn ist für das kommende Jahr geplant. Erfreulicherweise hat ihn sein Vater nie dazu gedrängt, Dachdecker zu werden. Mit 23 Mitarbeitenden und einem modernisierten Betriebsgelände – inklusive neuer Lagerhalle – ist der Betrieb gut aufgestellt. „Wir wollen ein Umfeld bieten, das technisch und menschlich zukunftsfähig ist“, so Mittag. Die Meisterschule in Mayen hat bei der Familie Tradition: Auch sein Vater und Großvater schlossen dort als Jahrgangsbeste ab.

Übergabe eines Meisterbriefs an einen jungen Mann in einem Anzug, begleitet von drei weiteren Personen in formeller Kleidung.
Ehrung, von links: HWK-Hauptgeschäftsführer Ralf Hellrich, HWK-Präsident Kurt Krautscheid und ZDH-Präsident Jörg Dittrich überreichen Jan Mittag (Mitte) die Auszeichnung als Prüfungsbester der HWK Koblenz. (Quelle: Michael Jordan)

Nachwuchs: Erst vor Ort, dann Social Media

Zwei Azubis werden derzeit ausgebildet. Nachwuchsgewinnung bleibt ein Dauerthema, doch tatsächlich kommen auch Bewerbungen über die Arbeitsagentur. Mittag setzt auf persönliche Gespräche, Praktika, Schulbesuche und Ausbildungsmessen wie die „Nacht der Ausbildung“ in Lünen. Wichtig ist ihm, dass junge Menschen verstehen, was sie tun: „Ich frage nach – warum wird die Schweißbahn so gelegt? Wer das begreift, macht es nicht nur nach, sondern mit.“ Schulnoten sind für ihn zweitrangig – Motivation zählt.

Aktive Förderung gehört dazu: Praktika, persönliche Betreuung, gezieltes Nachfragen. Die Berufsschulen kritisiert er als zu theoretisch – Wissen müsse „mit den Händen gelernt“ werden. Er bemängelt die noch immer geringe gesellschaftliche Wertschätzung für handwerkliche Berufe. „Viele Jugendliche wissen gar nicht, wie viel Spaß es macht, mit den eigenen Händen etwas zu bauen“, sagt er. Deshalb engagiert sich der Betrieb bei Initiativen wie „Handwerkerherbst“ auf dem Marktplatz in Lünen. Social Media? Funktioniert erst so richtig, wenn bereits ein Grundinteresse geweckt wurde. „Das geht am besten persönlich vor Ort.“

Seine persönliche Vorliebe gilt dem Flachdach – besonders dem Schweißen. „Das hat mir schon immer Spaß gemacht“, sagt er.

Mittags unternehmerischer Fokus liegt auf Digitalisierung, technischer Weiterentwicklung und nachhaltiger Projektplanung. Der Einsatz von CAD-Software, digitalen Aufmaßen und Tablets ist längst Standard – besonders bei Großprojekten wie Industriehallen oder öffentlichen Aufträgen. Drohnen unterstützen bei Dokumentation und Abstimmung. CAD erleichtert die Flächenberechnung und sorgt für Präzision.

Technik als Werkzeug, nicht als Selbstzweck

Mittags Zugang zur Technik ist pragmatisch: „Technologie muss helfen, nicht stören.“ Deshalb testet er neue Tools zuerst selbst, bevor er sie im Betrieb einführt. Besonders wertvoll: CAD-gestützte Aufmaßsoftware, mit der er komplexe Dachflächen plant, Flächenberechnungen vereinfacht und Angebote präziser kalkuliert. Im Gespräch wird deutlich: Hier kommt der Wirtschaftsingenieur auf seine Kosten und lebt sich aus.

Die Verarbeitung von Dokumenten im Büro erfolgt weitestgehend digital, der Knackpunkt ist allerdings der Schnittpunkt zur Baustelle. Hier kommen häufig analoge Dokumente zum Einsatz, welche natürlich vorher im Büro verarbeitet werden müssen. Die Umstellung zur digitalen Baustelle war eigentlich schon für das letzte Jahr geplant und wurde intensiv vorbereitet, letztendlich aber aufgrund unpassender Software wieder verschoben. Aktuell senden sich die Mitarbeiter noch per Whats-App Fotos der Baustellen zu – eine Sache, die Jan Mittag konkret ändern wird. Mittag warnt vor überzogener Technikgläubigkeit. Viele Softwarelösungen seien zu starr, teuer oder nicht an die Prozesse eines Dachdeckerbetriebs angepasst. Deshalb setzen Vater und Sohn gemeinsam auf behutsame Transformation: Digitalisierung wird dort eingesetzt, wo sie hilft. „Ich habe auch schon Software wieder abgeschafft, weil sie mehr Probleme als Lösungen brachte.“

Themenschwerpunkte: Gründach und energieeffizientes Bauen

Gründächer, Retentionssysteme und die bauliche Vorbereitung für PV-Anlagen gehören zur Praxis. Auftragsschwerpunkte sind Industriekunden wie Wohnungsbaugesellschaften oder Aufträge von der Stadt. Photovoltaik wird meist in Kooperation mit Elektrikern umgesetzt. Dach Kühn übernimmt in der Regel die bauliche Vorbereitung, die Unterkonstruktion, berät zur Lastverteilung und plant Sicherheitsvorkehrungen. Die Installation der PV-Module überlässt das Unternehmen überraschenderweise der Konkurrenz. Das hat seinen Grund: „Der klassische Solarteur ist einfach günstiger, aber wir sorgen dafür, dass das Dach auch langfristig funktioniert“, so Mittag.

Aber es gibt auch Ausnahmen, zum Beispiel bei einer Ausschreibung vor Ort: „Beim Neubau der Feuerwache in Lünen haben wir, bis auf die Module, alles am Dach bereitgestellt, inklusive Gründach. Wer ein Solardach realisieren will, muss die Druckverteilung kennen – und die Details zu Aufbauhöhe, Lastreserven und Windsog berücksichtigen“, sagt Mittag.

Gründächer, Retentionssysteme und die bauliche Vorbereitung für PV-Anlagen gehören zur Praxis. Der Betrieb übernimmt die technische Planung, statische Vorprüfung und Sicherheitskonzepte. „Hier gibt es verstärkt Nachfragen, besonders im Neubau. Im Altbau wird der Wunsch nach einem Gründach oft von der fehlenden Statik gebremst“, so Mittag.

Bürokratie im Handwerk: Das Beispiel Diisocyanate

Einen kritischen Blick richtet Mittag auf die wachsende Bürokratie-Last – etwa bei der Schulungspflicht für Diisocyanate. Seit August 2023 müssen alle Mitarbeitenden, die mit PU-Schäumen arbeiten, eine spezielle Unterweisung absolvieren und einen Test bestehen. „Das Ganze war ein bürokratisches Monstrum“, so Mittag. Mitarbeiter mussten sich teilweise mit privaten E-Mail-Adressen registrieren, Online-Module durcharbeiten und Zertifikate vorlegen – unabhängig davon, ob sie täglich oder nur sporadisch PU-Schäume verwenden. Eine Kontrolle der Schulungspflicht erfolgte kaum, der Nutzen für die Arbeitspraxis blieb fraglich.

„Unsere Leute wissen längst, dass PU-Schäume gesundheitsschädlich sein können, und kennen die Schutzmaßnahmen – das lernen sie sowieso im Rahmen der allgemeinen Sicherheitsunterweisungen. Statt echter Arbeitssicherheit wurde hier vor allem Dokumentationspflicht erzeugt. Generell sind Haftungsfragen immens und werden immer mehr auf die Handwerker abgewälzt“, kritisiert Mittag. Er wünscht sich, dass Vorschriften praxisnäher und mit Augenmaß gestaltet werden – gerade im Handwerk, wo ohnehin hohe Eigenverantwortung gelebt werde.

Den kompletten Beitrag lesen Sie in DDH 08.2025.

zuletzt editiert am 29. Juli 2025