Eine Frau mit rotem Haar spricht in ein Mikrofon auf einer Konferenz.
Stephanie Kühnel beim Tag des Handwerks 2023 in München. (Quelle: Michael Schuhmann)

Porträts 2025-03-05T08:10:09.286Z Neustart als Einzelkämpferin

Porträt: Fast zehn Jahre ist es her, dass der Vater von Stephanie Kühnel plötzlich starb. Bei uns erzählt die Dachdeckermeisterin von den persönlichen Herausforderungen und ihrer Neuausrichtung. Der Weg dorthin war hart.

Vor knapp zehn Jahren erlebte die Familie Kühnel ein einschneidendes Ereignis. Der Firmenchef, Vater Rolf Kühnel, starb völlig unerwartet. Das Unternehmen stand vor einer entscheidenden Frage: Betrieb schließen oder weitermachen? Für Stephanie Kühnel war die Antwort klar – das Traditionsunternehmen zu schließen kam für sie nicht infrage. Also übernahm sie als Dachdeckermeisterin die Leitung.

Trotz des zeitlichen Abstands erinnert sie sich noch genau an die damaligen Ereignisse, besonders an den Hinweis auf den Notfallordner fürs Dachdeckerhandwerk: „Ich hatte meinem Vater kurz zuvor noch eine Werbeanzeige des Notfallordners geschickt und geschrieben: Papi, schau mal, das wäre doch auch für unsere Zukunft sinnvoll. Dass er zwei Monate später dann tatsächlich verstarb, konnte doch keiner ahnen“, erzählt Kühnel.

Seitdem arbeitet sie regelmäßig mit dem Notfallordner, der wichtige Dokumente wie Patientenverfügungen, Bankverbindungen und Vollmachten enthält. „Zum Glück hatte mir mein Vater vor einer Reise die Bankvollmacht gegeben, sonst hätte die Bank das Konto eingefroren. Das hätte die Betriebsübernahme noch stressiger gemacht.“

Die Themen Nachfolgeregelung und Notfallplanung sind ihrer Erfahrung nach immer noch mit Vorbehalten behaftet. „80 Prozent der Betriebe, mit denen ich gesprochen habe, kennen den Notfallordner nicht einmal. Das ist leider kein attraktives Thema, und deshalb ist hier noch viel Aufklärungsarbeit nötig“, betont Kühnel.

Eine Gruppe von Menschen in traditioneller Tracht steht vor einem Brauereiwagen mit der Aufschrift "Hacker Pschorr Bräu".
Mittig, mit Hut: Stephanie Kühnel beim Wiesnumzug 2023 mit der Dachdecker-Innung Oberbayern. (Quelle: Kühnel)

Umdenken bei den Inhabern erforderlich

„Bei mir ist es so: Sollte mir etwas passieren, müsste meine Familie den Betrieb schließen.“ Das Dachdeckerunternehmen, das ihr Vater 1989 gründete, zählt zu den alteingesessenen Betrieben in Bayern. Schon früh kam Stephanie mit dem Handwerk in Berührung, was zu ihrer Entscheidung führte, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Nach dessen plötzlichem Tod im Jahr 2015 übernahm sie die Leitung – eine Zeit, die sie als besonders herausfordernd beschreibt. „Ich wurde ins eiskalte Wasser geworfen, aber die Unterstützung meiner Familie und Freunde hat mir geholfen, den Betrieb weiterzuführen.“

Die Rolle der Dachdeckerinnung und der Gemeinschaft

Auch von der Dachdecker-Innung München/Oberbayern erhielt sie wertvolle Unterstützung. „Josef ,Sepp" Frank (Innungsobermeister), Dieter Süßenguth (damals stellvertretender Innungsobermeister) und Wolfgang Werner waren eine große Hilfe. In der schweren Zeit habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, Teil einer Berufsorganisation zu sein. Es ist wie eine große Familie. Wir helfen uns gegenseitig – sei es bei Materialengpässen oder rechtlichen Fragen. Diese Gemeinschaft ist unbezahlbar. Das Gefühl, zusammenzuhalten, findet man heute nur noch selten“, berichtet Kühnel dankbar.

Bis 2023 führte Stephanie Kühnel ein Team von Mitarbeitern. Doch gesundheitliche Probleme, hohe Belastungen und das permanente Arbeiten am Anschlag zwangen sie dazu, ihren Betrieb grundlegend zu verändern. Heute arbeitet sie hauptsächlich allein, unterstützt von ihrem Bruder, der als gelernter Zimmerer ein bis drei Tage die Woche auf den Baustellen mithilft.

„Wir haben dieselben Vorstellungen und Werte. Ich vertraue ihm blind und kann ihn deshalb allein auf die Baustelle schicken, oder wir arbeiten zu zweit. Das Wichtigste für mich: Ich bin wieder auf der Baustelle und kann mit meinen eigenen Händen etwas schaffen. Früher war das kaum möglich, weil ich für fünf Mitarbeiter den gesamten Betrieb managen musste“, erklärt Kühnel.

Die Entscheidung, ihr Team aufzulösen, fiel ihr schwer. „Es war eine emotionale Zeit. Als es dann so weit war, wurden von allen schon auch Tränen vergossen. Aber ich wusste, dass diese Veränderung notwendig war – für meine Gesundheit und Lebensqualität.“

Vor der Umstrukturierung war ihre Situation kaum noch tragbar. „Ich konnte nicht mehr schlafen, hatte ständig Stress und musste alles allein machen – vom Kundenerstkontakt über Baustellenplanung und -betreuung bis zur Rechnungstellung. Meine Mama unterstützte mich mit Buchhaltung und hielt mir mit all ihrer Kraft den Rücken frei, allerdings fehlte ihr für das alltägliche Geschäft das Fachwissen.“ Zu Schlafmangel und Stress kamen dann noch Probleme wie Krankmeldungen der Mitarbeiter oder fehlende Führerscheine. „Trotz guter Auftragslage kam ich nicht voran“, erinnert sie sich.

Fokus auf das Wesentliche

Nach der Umstrukturierung konzentriert sich Kühnel weiter auf kleinere Aufträge wie beispielsweise Garagendachsanierungen, Wartungsarbeiten oder den Einbau von Dachfenstern etc. Zudem baut sie ihre Tätigkeit als Sachverständige aus und erstellt Gutachten für Versicherungen, große Bauträger oder Anwälte und übernimmt Begleitungen bei Bauabnahmen. Ihre Arbeitstage teilt sie klar ein: Montage sind für Organisation und Verwaltung reserviert, die restliche Zeit verbringt sie auf Baustellen oder an Gutachten.

Auch die Kunden wurden über die Veränderungen informiert. „Ich habe klar gesagt: Wir sind jetzt nur noch zu zweit. Vormittags sind wir nicht vor 10 Uhr auf der Baustelle, dafür arbeiten wir aber oft bis abends. Passt das für Sie?“ Alle Kunden reagierten trotz der ungewöhnlichen Zeiteinteilung verständnisvoll. „Man muss nur klar kommunizieren, dass morgens das Alltagsgeschäft wie Telefonate und E-Mails erledigt wird und man sich im Anschluss gänzlich auf die Baustelle konzentrieren kann und nicht während der Baustellenzeit am Smartphone hängt.“

Ein weiterer Vorteil: die gewonnene Freizeit. „Ich kann jetzt spontaner planen oder meinem Hobby, dem Motorradfahren, nachgehen. Ständige Erreichbarkeit für Mitarbeiter gehört der Vergangenheit an sowie auch, dass meine Abwesenheit im Betrieb akribisch geplant werden muss. Es war wirklich die beste Entscheidung meines Lebens.“ Worklife Balance sagt sie nicht, aber das trifft es ganz gut.

Herausforderungen durch Bürokratie und Fachkräftemangel

Die zunehmende Bürokratie im Handwerk stellt sie weiterhin vor Herausforderungen. Natürlich weiß die erfahrene Dachdeckermeisterin um die Notwendigkeit der Dokumentation von zum Beispiel Gefährdungsbeurteilungen. Aber „kleine Betriebe haben oft nicht die Kapazitäten, all diese Anforderungen zu erfüllen“, sagt die Unternehmerin.

Stolz auf die Tradition

Doch davon lässt sich Kühnel nicht unterkriegen. Im Gegenteil – sie sucht den Kontakt unter Kollegen und Kolleginnen. Als Mitbegründerin der „Dachdeckermädelz“ setzt sie sich zum Beispiel aktiv für die Sichtbarkeit von Frauen im Handwerk, aber auch für eine generelle Nachwuchsgewinnung im Dachdeckerhandwerk ein. „Wir sind eine super Gemeinschaft und pflegen über unsere WhatsApp-Gruppe einen engen Austausch. Das müssen auch nicht immer Dachdecker-Themen sein“, lacht Kühnel. Sie lächelt oft im Gespräch, sodass man kaum glauben kann, welche dunklen Zeiten sie durchgemacht hat.

Für die Zukunft plant sie, ihren Betrieb weiter flexibel zu führen und ihre Gutachtertätigkeit als Sachverständige weiter auszubauen. Trotz aller Hürden bleibt sie optimistisch: „Ich liebe meinen Beruf und bin stolz darauf, Dachdeckermeisterin zu sein. Es ist ein Privileg, mit den eigenen Händen etwas zu schaffen.“ Sie hat jedenfalls ihren Weg gefunden – und zeigt, dass Unternehmerinnen auch mal unkonventionelle Entscheidungen treffen dürfen oder sogar müssen.

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zuletzt editiert am 20. März 2025