Betriebliche Kalkulation: Zu viele Betriebe kennen ihren für eine ausreichende Kostendeckung und Gewinnerzielung notwendigen Stundenverrechnungssatz nicht und orientieren sich an dem, was sie aus dem Markt kennen. Wie kann diese Situation verbessert werden? Darüber streiten sich auch die Fachleute – wir haben sie an einen Tisch gebeten.
Zum Hintergrund des Gesprächs: Der Dachdecker-Verband Nordrhein hatte 2019 einen Vorstoß unternommen, um die Kommunikation zur Ermittlung der Stundenverrechnungssätze zu verstärken. Der Ansatz: Mit einer vereinfachten Berechnung sollte Betrieben unter der Überschrift „Faktor 3,5 für schwarze Zahlen“ der Zugang zum Thema erleichtert werden. Die Idee: Basierend auf Erfahrungswerten multipliziert ein Betrieb seinen individuellen Mittellohn mit dem Faktor 3,5. Der Verband Nordrhein regte daraufhin an, das Thema mit Unterstützung des ZVDH stärker zu kommunizieren und bundesweit auszurollen. Der Fachausschuss Betriebswirtschaft und Unternehmensführung entschied sich jedoch mehrheitlich dagegen, die Berechnung mit einem festen Faktor als offizielle Linie des Verbandes zu übernehmen. Das Argument: Die Aufgabe des Ausschusses bestehe vor allem darin, den Betrieben die korrekte Berechnung zu vermitteln, wie sie zum Beispiel in der ZVDH-Unternehmer-Info – Ausgabe 2 – und dem ergänzenden Excel-Berechnungstool hinterlegt ist. `
Welcher Weg ist der richtige? Wie lassen sich die Ansätze kombinieren? Zum Streitgespräch beim DDH in Köln trafen sich Raban Meurer, Landesinnungsmeister Nordrhein und Mitglied im Ausschuss Betriebswirtschaft und Unternehmensführung, Thomas G. Schmitz, Geschäftsführer Dachdecker-Verband Nordrhein, Markus Dürscheidt, Dachdeckermeister und Vorsitzender des Ausschusses, sowie Felix Fink, Bereichsleiter Wirtschaft und Unternehmensführung im ZVDH, der den Ausschuss betreut.

DDH: Herr Dürscheidt, warum ist der Stundenverrechnungssatz so wichtig für Betriebe, und warum ist er zwischen Ihnen ein Streitthema?
Markus Dürscheidt: Ich kann aus meiner Praxis als Obermeister von vielen Gesprächen berichten, in denen es um die Frage geht, warum Betriebe für bestimmte Aufträge so billig anbieten können. Die Antwort ist meist eindeutig: Weil ihre Kalkulation nicht stimmt. Grundlage der Kalkulation ist die Vorkalkulation, und deren Grundlage ist der exakte Stundenverrechnungssatz. Unser Ziel als Ausschuss ist es, den Stundenverrechnungssatz dorthin zu bringen, wo er betriebswirtschaftlich hingehört. Was dieses Ziel angeht, liegen wir und die Nordrheiner Kollegen gar nicht so weit auseinander, wir sind aber uneins über den richtigen Weg dahin.

Herr Meurer, wie nehmen Sie das Thema in der Praxis wahr?
Raban Meurer: Mich beschäftigt die Frage der betrieblichen Kalkulation auf Verbandsebene schon seit über zwanzig Jahren. Aus dieser langjährigen Beschäftigung mit den einzelnen Faktoren der Kalkulation heraus habe ich versucht darzustellen, wie man mit Erfahrungswerten zum richtigen Preis finden kann. So hat sich der Faktor 3,5 – multipliziert mit dem betrieblichen Mittellohn – entwickelt, inspiriert auch von der Handwerkskammer zu Köln, die diesen Wert Betrieben seit Längerem als Praxishilfe an die Hand gibt, und der Dachdecker-Innung Düsseldorf. So ist die Idee entstanden, und sie ist von unseren Mitgliedern sehr gut aufgenommen worden. Seit 2020 sind die Verrechnungssätze im Verband Nordrhein merklich gestiegen. Dabei hat die Konjunktur eine Rolle gespielt, die Entwicklung ist nach unserer Wahrnehmung aber auch eine Folge unserer Kampagne für den Faktor 3,5.
Dass es im Dachdeckerhandwerk ein Problem mit der Kalkulation gibt, ist Konsens in der Runde?
Dürscheidt: Ja, es muss in den Betrieben ein Umdenken geben. Der Stundenverrechnungssatz wird häufig nicht berechnet, sondern aus Marktbeobachtungen abgeleitet, nach der Methode: Wenn der Nachbarbetrieb so wenig nimmt, kann ich auch nicht höher gehen. So funktioniert es aber nicht, denn jeder Betrieb hat seine eigenen Kostenstrukturen.
Meurer: Das ist die Krux an der Sache.

Thomas G. Schmitz: Das spiegelt eine Haltung wider, die Herr Fink bei einer Verbandsveranstaltung mal so schön beschrieben hat: Man müsse den Eindruck gewinnen, dass viele Dachdeckerbetriebe lieber ein volles Auftragsbuch als ein volles Konto hätten. Das fand ich sehr eindrücklich, und es trifft nach meiner Erfahrung bei vielen Betrieben zu.

Felix Fink: Häufig liegt Betrieben bereits der Endpreis eines Wettbewerbers vor, der dann einfach um 500 Euro unterboten wird, um den Auftrag zu bekommen. Am Ende ist aber jeder seines eigenen Glückes Schmied, und der Markt ist frei – wir können keinem vorschreiben, was zu verlangen ist. Wir können nur darauf hinweisen, wie man zumindest seine Kosten deckt, besser noch auskömmliche Gewinne erzielt. In der Praxis gibt es Betriebe, die effektiv sogar drauflegen. Zum Beispiel mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung oder Kapitalvermögen, die den Betrieb subventionieren. Oder der Inhaber macht 80 Stundenwochen, um günstiger sein zu können. Auch das ist die Realität.
Schmitz: Natürlich können wir die Betriebe nicht zur korrekten Kalkulation tragen, aber meine Wahrnehmung ist, dass unsere Berufsorganisation bei den Betrieben einen hohen Stellenwert genießt. Und daraus ergibt sich für uns die Aufgabe, Denkanstöße für die Betriebe zu liefern. Solange wir dasselbe Ziel verfolgen, können sich die Betriebe aus dem Früchtekorb unterschiedlicher Anregungen frei bedienen, mit unserem Faktor oder der ausführlichen Berechnung des ZVDH.
Meurer: Damit müssen die Betriebe mit ihrem Steuerberater stundenlang Tabellen durchgehen. Es fehlte einfach eine griffige Formel, um die Situation für viele zu verbessern. Wenn die detaillierte Rechnung zu kompliziert ist, dient der Faktor 3,5 als Erfahrungswert aus der etablierten handwerklichen Betriebswirtschaft, mit der ein Betrieb überleben kann und mit der er anderen Betrieben preislich nicht das Leben schwer macht. Das war die Intention unserer Kampagne.
Es klingt doch zunächst einmal vernünftig, betriebswirtschaftlich zumindest den Spatz in der Hand zu vermitteln. Wo liegt aus Ihrer Sicht das Problem?
Fink: Ein fester Faktor kann in die Irre leiten. Um für die Leserschaft transparent zu machen, woraus sich der Faktor 3,5 zusammensetzt: Faktor 1,0 ist der Mittellohn, Faktor 0,9 sind die lohngebundenen Kosten, es verbleiben die fehlenden 1,6 für den Gemeinkostenblock plus dem Zuschlag für Wagnis und Gewinn. Wir haben in diesem Modell also feste Werte mit dem betrieblichen Mittellohn als einzige verbleibende Stellschraube. Das kann fatale Auswirkungen haben, wenn sich kurzfristig Umstände ändern. Nehmen wir das Beispiel einer Lohnerhöhung um 1 Euro. Im Faktormodell würde der zusätzliche Euro mit dem Faktor 3,5 multipliziert. Tatsächlich ändert sich der Gemeinkostenblock aber nicht, der zusätzliche Euro müsste nur mit dem Faktor 1,9 gerechnet werden. Wir führen den Betrieb also völlig in die Irre mit einem statischen Faktor. Deshalb: Wir verteufeln den Faktor nicht, benennen aber seine Grenzen. Im Übrigen kommen gerade kleine Betriebe bei einer Faktorberechnung deutlich schlechter weg, zum Beispiel bei Krankheitstagen der Mitarbeiter.
Kleinere Betriebe gibt es gerade im Verband Nordrhein viele.
Schmitz: Herr Fink hat aus akademisch-theoretischer Sicht ja Recht. Unsere Zielgruppe ist aber nicht akademisch geprägt. Auch in Nordrhein gibt es zahlreiche Dachdecker, die eine detaillierte, anspruchsvolle Vorkalkulation durchführen. Aber, Herr Fink, Sie überfordern mit Ihrem Ansatz gerade die kleinen Betriebe. Mit unserem Faktor-Ansatz holen wir diese Betriebe an der richtigen Stelle ab. Und selbst wenn der Unternehmer etwas nachsteuern muss, geschieht das nach einem leichten Einstieg eher als mit einer von vornherein komplizierten Berechnung. Das ist meine feste Überzeugung.
Dürscheidt: Ich habe da eine andere Sichtweise. Das Excel-Tool zur Berechnung, das wir ergänzend zur gedruckten Fassung der ZVDH-Unternehmer-Info entwickelt haben, ist kein hoch kompliziertes Produkt. Mithilfe des Steuerberaters – den jeder hat – ist das innerhalb von zehn Minuten auszufüllen. Auch ich schicke es meinem Steuerberater und kontrolliere anschließend nur noch. Letztlich kann jeder Betrieb frei entscheiden: Wenn man unbedingt mit einem Faktor 3,5 oder auch 4,0 rechnen möchte, ist das immer noch besser, als mit 2,5 zu rechnen…
Meurer: Das ist genau das Thema.
Dürscheidt: … aber: Als Verband ist es unsere Aufgabe, aufzuzeigen, wie es richtig und genau geht.
Meurer: Das Problem ist doch vielmehr, dass wir als Dachdecker seit jeher um Preise kämpfen und nie einen Rückhalt bekommen. Eine Berufsorganisation muss auch eine Griffigkeit in ihrer Kommunikation transportieren. Da muss eine kurze Formel her, die ich im Nachgang auch gerne noch genauer ausrechnen kann. Als Verband müssen wir unser Ziel in der Kommunikation nach außen wirklich vertreten, damit nicht noch mehr Handwerksmeister in Rente gehen und kein Geld auf dem Konto haben.
Dürscheidt: Genau da liegt der Hund begraben: Wenn man mit einem Faktor rechnet, besteht die einzige Möglichkeit, den Stundenverrechnungssatz zu senken, in der Absenkung des Stundenlohns, also in Lohnkürzungen. Oder man ändert den Faktor. Wozu aber ein fester Faktor, wenn er nicht fest ist? Es bleibt dabei: Ohne eine saubere Kalkulation habe ich keinen Einblick in meinen Betrieb und kann ihn letztlich nicht erfolgreich steuern. Das ist ein großes langfristiges Risiko. Außerdem könnten wir uns dann rund 200 Stunden Meisterausbildung für Kalkulation und Kostenrechnen sparen.
Schmitz: Es wäre ja sehr zu begrüßen, wenn der Markt so funktionieren würde, wie man sich es an der Meisterschule erhofft. Das ist aber leider nicht der Fall, und das ist der entscheidende Punkt.
Dürscheidt: Deshalb finde ich die 3,5 ja auch nicht unwichtig, um sich beispielsweise selbst zu überprüfen.
Schmitz: Unsere Rede.
Dürscheidt: Aber es darf nicht offizielle Lesart sein, weil es definitiv nicht richtig ist.
Meurer: Die Meisterausbildung wird doch gar nicht infrage gestellt. Es ist richtig, dass in Mayen und den mit den Landesverbänden verbundenen Fachschulen diese Methoden gelehrt werden. An vielen Kammern ist das aber nicht der Fall, und dort besteht bei manchen Dachdeckern, die sich selbstständig machen, überhaupt kein Gefühl für Kalkulation. Die 3,5 ist ein Weckruf, sich mit dem Thema zu beschäftigen und wegzukommen von der 3,0, die viele Betriebe lange Zeit als Richtschnur genutzt haben. Wir haben in den vergangenen Jahren als Dachdeckerhandwerk einfach zu wenig die Preise erhöht, andere Gewerke sind uns weggezogen und haben satte Gewinne gemacht, mit denen dann Investitionen getätigt wurden. Das zeigen die Zahlen eindeutig.
Malte von Lüttichau
Den kompletten Beitrag lesen Sie in DDH 09.2022.