Europawahl 2024-05-21T08:59:21.857Z Europawahl 2024: Das erwarten Dachdecker

Digitalisierung, Bürokratie-Abbau und Hilfen bei der Umsetzung der Klimawende: Das sind die zentralen Forderungen, die Dachdecker zur Europawahl benennen.

Bei der Europawahl mussten die Parteien der Ampel deutliche Verluste hinnehmen. Stärkste Kraft wurde die CDU/CSU, gefolgt von der AFD. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 65 Prozent und damit deutlich höher als bei der letzten Wahl.
Der ZDH hat im Vorfeld Forderungen zur Europawahl 2024 für ein handwerksfreundliches Europa aufgelistet, darunter die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Fachkräftesicherung und Bürokratieabbau. Die Digitalisierung spielt dabei eine entscheidende Rolle, und der ZDH setzt sich für faire Bedingungen für Handwerksbetriebe im digitalen Markt ein. Auch der ZVDH hat sich vor der Wahl positioniert und für eine kritische aber auch konstruktive Auseinandersetzung mit den Mandatsträgern geworben.

Auf keinen Fall noch mehr Bürokratie

Das bedeutet in der Praxis für Handwerksbetriebe auf keinen Fall noch mehr Bürokratie. ZVDH-Präsident Dirk Bollwerk fordert deshalb ein wachstumsfreundliches Umfeld in Europa. Er unterstreicht die Bedeutung passender Rahmenbedingungen fürs Handwerk, um erfolgreich tätig zu sein. „Immer mehr Papierkram, unverständliche Richtlinien und Verordnungen und komplizierte Genehmigungsverfahren tragen dazu bei, dass Meisterschüler keine Lust mehr haben, Betriebe zu gründen oder einen zu übernehmen. Das ist fatal, da immer mehr Betriebe aufgegeben werden, weil eine Nachfolge fehlt.“ Gebäude energetisch sanieren, für dichte Dächer sorgen und beim Ausbau der Solarenergie mitmachen seien die wichtigen Aufgaben der Zeit, so Bollwerk.

Das sagen die Dachdecker

Mann mit Hut und Dachdecker-Kluft
Karsten Kirchhoff, Dachdeckermeister aus Fehrbellin. (Quelle: Dachdeckerverband Brandenburg)

Welche Themen sind für Sie als Dachdecker bei der Europawahl besonders wichtig?

Karsten Kirchoff: Die Planbarkeit für langfristige Investitionen der Firmen verbessern. Außerdem: Die Abschaffung von sinnloser Produktion für Baumärkte, zum Beispiel Bitumenbahnen ohne Zulassung.

Joachim Schaumlöffel: Der viel zitierte Bürokratieabbau würde uns natürlich sehr helfen. Wir wollen die Klimawende gemeinsam gestalten und europaweit auch als Klimahandwerker gesehen werden. Wettbewerbsgleichheit mit berufsfremden Branchen, die sich auf dem Dach tummeln (Solarteure) ist ein großer Wunsch.

Karl-Heinz Krawczyk: Die Klimawende geht nur mit dem Handwerk. Wir benötigen verlässliche Ziele und entsprechende Maßnahmen die sich nicht ständig ändern dürfen. Hier als Beispiel das Thema Förderung genannt. Die digitale Transformation muss endlich in die Gänge gebracht werden. Wir sind noch lange nicht da wo wir sein könnten. Das ist auch wichtig in Bezug auf Bürokratie. Gesetze müssen an das Handwerk angepasst und Bürokratie endlich abgebaut werden. Der Fachkräftemangel nimmt, auch aufgrund des gemographischen Wandels ständig zu und Handwerk wird technologische anspruchsvoller. Wir benötigen wieder mehr Menschen im Handwerk und dafür müssen die entsprechenden Bedingungen geschaffen werden. Immer weniger zu arbeiten löst die Probleme nicht. Die Migration ausländischer Fachkräfte kommt auch nicht in Fahrt. Es braucht ein politisches Umdenken, das die Wettbewerbsfähigkeit der mittelständischen Wirtschaft ins Zentrum der europäischen Politik stellt. Die EU muss fit gemacht werden für die Zukunft, auch in Betracht auf den Klimawandel.

Andrej Bauer: Die Europawahl 2024 könnte das Baunebengewerbe und speziell das Dachdeckerhandwerk sicherlich in mehreren Bereichen beeinflussen, ich will hier nur drei für mich relevante Punkte benennen:

1. Regulierung und Normen: Neue EU-Richtlinien oder -Verordnungen könnten Standards und Vorschriften für Baumaterialien, Energieeffizienz und Sicherheitsstandards verändern. Das kann zu Anpassungsbedarf im Handwerk führen.

2. Umweltpolitik: Strengere Umweltauflagen und Klimaschutzziele könnten zu einer erhöhten Nachfrage nach umweltfreundlichen Bau- und Sanierungsmaßnahmen führen, was das Dachdeckerhandwerk positiv beeinflussen könnte, jedoch auch zusätzlich belasten. Einhergehend mit der Umweltpolitik wird natürlich auch interessant sein, wie dann die neuen Förderprogramme für energieeffizientes Bauen aussehen werden und wer letztendlich davon profitieren wird.

3. Anerkennung von Berufsqualifikationen: In der EU gibt es Mechanismen zur Anerkennung von Berufsqualifikationen, die es Fachkräften ermöglichen sollen, in verschiedenen Mitgliedstaaten zu arbeiten. Das ist zwar einerseits gut, um die Mobilität zu erleichtern, andererseits sehe ich auch eine Gefahr, dass unser duales Ausbildungssystem des Gesellen und Meisters im gesamten Gemengelage Schaden nimmt.

Handwerksmobilität ohne Tachographen-Gedöns

Mario Kunzendorf
Mario Kunzendorf, Landesinnungsmeister Dachdecker Bayern und Obermeister der Dachdecker-Innung Oberpfalz und Kreis Kelheim (Quelle: Ilona Weiss)

Mario Kunzendorf: Politiker wollen Macht, heißt es. Bei den Parlamentswahlen auf Europa-Ebene sieht es für mich eher so aus: Gut bezahlte Ohnmacht tut es auch. Das ist systembedingt, das irritiert, insbesondere im Handwerk, wo funktionaler Erfolg Vertragsbedingung ist. Es sollte jedoch keinesfalls dazu verleiten, nicht zu wählen oder Extreme zu wählen. Die Europäische Union ist historisch trotzdem das Beste, was für Frieden und Wohlstand erschaffen wurde, auch fürs Dachhandwerk.

Es gibt Verbesserungsbedarf. Dass Brüssel viele Bürokratie-Haufen verteilt, wundert mich allerdings erstmal gar nicht. Schließlich ist das Parlament ein ausgewachsener Papiertiger. Aber das schließt Lernfähigkeit ja nicht aus. Beispiel Lieferketten-Diskussion: Es gibt Politiker, die sehen die Welt, wie sie ist. Es gibt Politiker, die wollen nur sehen, wie sie sein soll. Die Wahrheit liegt oft dazwischen. Eine gemeinsame Erkenntnis sollte dennoch sein, dass fehlende Nachhaltigkeit wie beim Fördern fossiler Energien in Saudi-Arabien nicht ausgeglichen wird, indem man Dachdecker-Betrieben in Deutschland Haftungsrisiken um den Hals schlingt. Oder Beispiel Klimaschutz: Ich sehe den Bedarf zu handeln, sehe aber auch, vorsichtig formuliert, die Technik nicht soweit, um Bitumenbahnen mit Wärmepumpen statt mit Gas zu schweißen.

Also: Wenn die EU will, dass Konzerne global etwas ändern, dann sollte sie nur diese adressieren und das Abwälzen auf kleine Vorlieferanten verhindern. Wenn die EU will, dass die Wirtschaft insgesamt etwas ändert, dann sollte sie im Vorfeld Praktizierende fragen, wie was wann umsetzbar ist; denn was alltagstauglich ist, ist gerne erfolgreich. Und wenn die EU nebenbei nicht will, dass zerstrittene Nationalregierungen einmal mehr Bürokratiesäume und Goldgirlanden dranverhandeln, dann muss sie eine Neuregelung halt einfach mal bleiben lassen.

Das Europaparlament selbst kann keine Gesetze einbringen. Aber es kann versuchen, auf allen Ebenen zu beeinflussen: im Sinne einer verlässlich planbaren Betriebsführung bei entschlackter Bürokratie, bezahlbarer Energie-Infrastruktur, bleibender Handwerksmobilität ohne Tachographen-Gedöns. Nicht, dass grundsätzlich etwas gegen solche Technologien spricht. Alle digitalen Werkzeuge sind Mittel zum Zweck – da, wo sie denn einen Zweck haben. Eine Dachdeckerei lebt gut davon, zielführende Neuheiten in Baustellenprozesse einzubinden. Sie bilanziert nicht besser, wenn sie die eh kurze Karriere eines digitalen Posteingangsstempels gemäß Datenschutzgrundverordnung mehrfach in Flussdiagrammen ersäuft. Kurzum: Für Menschen strebt Europa nach der Work-Life-Balance? Gut. Aber möge es die Betriebe nicht mit Work-Life-Redundanz erdrücken. Denn Einschläfern eröffnet keine Zukunft. Das weiß man von den Haustieren.

Wettbewerbsgleichheit mit berufsfremden Branchen

Welche politischen Maßnahmen auf europäischer Ebene würden Ihrer Meinung nach den größten positiven Einfluss auf die Dachdeckerbranche haben?

Karsten Kirchhoff: Das Wichtigste: Die Stärkung der dualen Ausbildung, dann der Bürokratieabbau mit der Abschaffung überflüssiger Auflagen. Die Abschaffung der Vor- Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge und die Entsorgungsvorgaben EU weit gleich zu bestimmen.

Joachim Schaumlöffel: Stärkung und Sicherstellung unseres dualen Ausbildungssystems und unserer Meisterausbildung, weitere Stärkung der energetischen Gebäudesanierung. Klimabewusstes Bauen à Forderung nach Retention und Dachbegrünung, Nachhaltigkeit und bewusste Materialwahl. Ausbau der erneuerbaren Energien und brauchbare E-Transporter.

Andrej Bauer: Harmonisierung der Anerkennung von Berufsqualifikationen: Einfluss: Durch die Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen wird es Fachkräften aus anderen EU-Ländern erleichtert, in Deutschland und anderen EU-Staaten zu arbeiten. Diese Harmonisierung hilft, den Fachkräftemangel zu mildern und fördert den Austausch von Wissen und Fähigkeiten innerhalb Europas.​
Arbeitssicherheitsstandards: Einfluss: EU-weite Regelungen zur Verbesserung der Arbeitssicherheit haben ebenfalls Einfluss auf die Dachdeckerbranche in allen EU-Ländern. Strengere und vor allem für alle Länder gleichgeltende Sicherheits-vorschriften können die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit der Arbeitnehmer in der gesamten EU verbessern.
Digitalisierung und Technologieförderung: Einfluss: EU-Initiativen zur Förderung der Digitalisierung und neuer Technologien im Baugewerbe betreffen alle Mitgliedstaaten. Diese Maßnahmen unterstützen KMUs in der Dachdeckerbranche europaweit dabei, effizienter zu arbeiten und sich technologisch weiterzuentwickeln​.

Lächelnder Mann in Dachdecker-Kluft
Joachim Schaumlöffel leitet einen Dachdecker-Betrieb in Gudensberg. (Quelle: Dachdecker-Innung Kassel)

Karl-Heinz Krawczyk: Entbürokratisierung, Verlässlichkeit bei Gesetzen und Fördermittel, Unterstützung des Mittelstandes, insbesondere des Handwerks, Ausbildungs- und Migrations Turbo.

Die Stärkung der dualen Ausbildung

Wie bewerten Sie die derzeitige Situation der Dachdeckerbranche in Europa und welche Verbesserungen wünschen Sie sich?

Karsten Kirchhoff: Zur Zeit belastet uns die Unterwanderung der Branche durch Solarteure, oft ohne beruflicher Qualifikation. Zudem wünsche ich mir ein bessere Unterscheidung der verschiedensten Klimagebiete und den pauschalen Forderungen der EU. Eine weitere Forderung: Die Reduzierung der Möglichkeiten von weltweit agierenden Unternehmen sich freizukaufen, von zum Beispiel der CO2 Steuer.

Joachim Schaumlöffel: In Deutschland ist die Situation des Dachdecker-Handwerks als positiv zu bewerten. In zahlreichen Ländern gibt es unseren Beruf nicht als selbständigen Berufsstand. Eine europaweite Betrachtung unseres Berufsstands halte ich für schwierig. Ich würde mir aber wünschen, dass zum Beispiel über die gute Zusammenarbeit der HWKs mit der GIZ oder unsere Internationalen Einsätze und Verbindungen mehr berichtet würde. Der Wert der Dualen Ausbildung wird oft sehr hoch geschätzt, außer in der Politik. Ein weiterer Wunsch wäre die tiefere Einflussnahme von Wissenschaft und Handwerk bei vielen Gesetzen und Normen die uns betreffen, damit dort zielgerichteter gearbeitet werden könnte. Es sei hier beispielhaft die Gefahrstoffverordnung genannt.

Lächelnder Mann
Landesinnungsmeister Baden-Württemberg: Karl-Heinz Krawczyk. (Quelle: DDH)

Karl-Heinz Krawczyk: Schwierig, was den Neubau betrifft. Die aktuelle Entwicklung hat dazu geführt, dass der Neubau weg bricht. Das ist problematisch für Dachdeckerbetriebe, die sich darauf spezialisiert haben. Auch wenn die Zahlen im Dachdeckerhandwerk bundesweit noch sehr gut sind, wird das auf Dauer nicht so bleiben. Nicht alle Firmen können von Sanierungen profitieren, in anderen Handwerksbereichen sieht es noch schlechter aus. Zudem gibt es in Deutschland regional große Unterschiede was die Auslastung betrifft. Jetzt muss dringend gehandelt werden. Nicht nur, weil das Handwerk sonst wichtige Fachkräfte verliert, sondern auch um die erforderlichen Wohnungen zu bauen.

Andrej Bauer, Unternehmer aus Laichingen. (Quelle: Bauer)

Förderung der Ausbildung und Weiterbildung

Andrej Bauer: Die Dachdeckerbranche in Europa steht meiner Meinung nach vor signifikanten Herausforderungen, vor allem im Bereich Fachkräftemangel und zunehmenden Regulierungen. Gleichzeitig bieten Trends wie Nachhaltigkeit und technologische Innovationen große Chancen für Wachstum und Entwicklung.

Fachkräftemangel/Herausforderung: Viele Länder, darunter Deutschland, kämpfen mit einem Mangel an qualifizierten Fachkräften. Dies führt zu Verzögerungen bei Projekten und erhöht den Druck auf bestehende Mitarbeiter. Wünschenswerte Verbesserung: Förderung der Ausbildung und Weiterbildung, z.B. durch Verbesserung der Qualifikation und Fachkenntnisse der Arbeitskräfte, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen oder / und Arbeitskräftemobilität.

Nachhaltigkeit und Klimaschutz/Chance: Die wachsende Nachfrage nach umweltfreundlichen Bauweisen und energieeffizienten Lösungen treibt Innovationen voran. EU-weite Klimaziele und Förderprogramme fördern diesen Trend. Wünschenswerte Verbesserung: Unterstützung von Nachhaltigkeitsinitiativen, z.B. durch Erhöhung der Fördermittel für nachhaltige Bauprojekte und energieeffiziente Sanierungen.

Regulierung und Bürokratie/Herausforderung: Strenge EU-Vorschriften, insbesondere in den Bereichen Umwelt und Arbeitsschutz, können zu zusätzlicher Bürokratie führen, was insbesondere kleine Betriebe belastet.
Wünschenswerte Verbesserungen: Abbau von Bürokratie, z.B. durch Vereinfachung und Harmonisierung der EU-Vorschriften, um den administrativen Aufwand für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) zu reduzieren.

Technologischer Fortschritt/ Herausforderung: Digitalisierung und neue Technologien halten auch im Dachdeckerhandwerk Einzug. Von Drohnen für Inspektionen bis hin zu automatisierten Systemen zur Materialverwaltung, technologischer Fortschritt hilft, Effizienz und Genauigkeit zu steigern. Wünschenswerte Verbesserungen: Stärkung der digitalen Infrastruktur, durch z.B. viel mehr öffentliche Investitionen in die Digitalisierung und neue Technologien im Baugewerbe.

Zum aktuellen ZVDH-Podcast zur Europawahl:

Kernforderungen des Handwerks (ZDH) im Überblick:

  • Stärkung der Klimawende mit dem Handwerk
  • Fairer Zugang zu (digitalen) Märkten gewährleisten
  • Handwerk bei Gesetzgebung einbeziehen und bürokratische Hürden senken
  • Fachkräftesicherung gewährleisten
  • Wettbewerbsfähigkeit von Handwerksbetrieben im Binnenmarkt sichern

ZDH-Leitlinien zur Europawahl:

Themenseite des ZDH zur Europawahl:

zuletzt editiert am 11. Juni 2024