Obwohl viele Konflikte auf der Baustelle vermeidbar wären, landen sie regelmäßig beim Sachverständigen – nicht wegen technischer Mängel, sondern wegen unklarer Absprachen. Sachverständiger Jürgen Gerbens zeigt, warum frühzeitige, klare Kommunikation beide Seiten schützt – und wie sich Missverständnisse, Stillstand und Gutachterkosten vermeiden lassen.
Wenn der Sachverständige klären muss, was längst hätte geklärt sein sollen
Sachverständige im Dachdeckerhandwerk werden oft zu Hilfe gerufen, wenn es eigentlich schon zu spät ist: Eine Dachsanierung wurde ausgeführt, der Auftraggeber ist unzufrieden, es herrscht Uneinigkeit über die Qualität oder den Umfang der Arbeiten – und der ursprüngliche Bauvertrag gibt keine eindeutigen Antworten.
In solchen Fällen besteht die Aufgabe des Sachverständigen nicht in erster Linie darin, handwerkliche Fehler zu finden. Vielmehr geht es häufig darum, nachträglich Klarheit über die ursprünglich geschuldete Leistung zu schaffen: Was war beauftragt? Was sollte geliefert, eingebaut oder erreicht werden? Welche Qualität und welches Ergebnis wurden vereinbart – und wurden diese Erwartungen berechtigterweise gestellt?
Fragen wie diese hätten idealerweise vor Ausführungsbeginn geklärt werden sollen. Doch im hektischen Alltag des Baugeschehens wird zu wenig gefragt, zu schnell beschlossen – und zu viel vorausgesetzt. Dabei gilt: Wer fragt, handelt verantwortungsvoll. Nicht nur der Auftraggeber, sondern auch der Auftragnehmer trägt Verantwortung für ein gemeinsames Verständnis. Solange nicht beide Seiten detailliert wissen, was geschuldet ist, ist das Risiko eines Streits hoch – mit der Folge: Baustillstand, Zahlungsverweigerung, Anwälte, Gutachten, Gericht.
Unklare Wünsche – vage Angebot
Ein Klassiker aus der Praxis: Der Kunde sagt, er wünsche sich „ein neues, schönes, warmes Dach, das nicht zu teuer ist und möglichst lange hält“. Der Auftragnehmer bietet „eine moderne, wärmegedämmte Dachsanierung nach anerkannten Regeln der Technik, inklusive Lieferung und Montage“ an. Klingt stimmig – oder?
Das Problem ist: Beide Seiten verstehen unter denselben Worten oft völlig Unterschiedliches. Was bedeutet „schön“? Welcher Dämmwert wird erwartet? Was heißt „nicht zu teuer“? Welche Lebensdauer ist gemeint? Und worauf genau bezieht sich „fachgerecht“?
Ohne genaue Festlegungen bleiben diese Fragen offen – bis zur Ausführung. Und spätestens dann können Interpretationen auseinanderdriften. Der Auftraggeber ist enttäuscht, der Auftragnehmer fühlt sich missverstanden – und am Ende wird ein Sachverständiger eingeschaltet, der klären soll, was niemand genau formuliert hat.
Verständnis ist keine Einbahnstraße – sondern gemeinsame Verantwortung
Oft erleben Sachverständige, dass nur eine Seite glaubt, alles richtig verstanden zu haben. Doch erst wenn beide Parteien dieselbe Vorstellung vom Werk haben, gibt es eine tragfähige Grundlage.
Das Dachdeckerhandwerk ist technisch anspruchsvoll und detailreich. Kunden sind in der Regel Laien, Unternehmer Profis – aber auch Profis sollten Kundenwünsche nicht einfach deuten, sondern hinterfragen. Und Bauherren müssen sich die Mühe machen, nachzufragen, bis sie die technischen Vorschläge wirklich verstanden haben.
Typische Fragen, die im Vorfeld geklärt werden sollten:
- Welche Dachform, Materialien, Details sind gewünscht?
- Welche Dämmstoffe, welcher Aufbau, welche Normen sind verbindlich?
- Gibt es Zusatzleistungen wie Dachfenster, Entwässerung, Unterdeckungen?
- Welche Sichtbarkeit/Aufwertung ist gewünscht – z. B. bei Gauben oder Ortgängen?
- Welche Zahlungsmodalitäten, Bauzeitpunkte, Zuständigkeiten sind vereinbart?
Fazit: Nur wer fragt – und verständlich antwortet – kann sicher sein, dass beide Seiten dasselbe Projekt vor Augen haben.
Unternehmer sollten ihre Angebote nicht nur technisch korrekt, sondern auch kundengerecht formulieren – besonders bei privaten Auftraggebern. Wer seine Texte regelmäßig auf Verständlichkeit prüft, vermeidet viele unnötige Rückfragen und spätere Konflikte.
Wenn die Kommunikation scheitert – kommt der Sachverständige
Kommt es trotz aller Vorsicht zu Unstimmigkeiten, wird häufig ein öffentlich bestellter Sachverständiger hinzugezogen. Dieser soll den Ist-Zustand objektiv begutachten – und die zentralen Fragen klären, die vorher im Bauvertrag besser geregelt worden wären.
Dabei begegnet man nicht nur baulichen, sondern auch emotionalen Spannungen: Enttäuschung, Unverständnis und Misstrauen belasten die Beteiligten. In solchen Fällen hilft ein neutraler Blick von außen – sachlich, ruhig, unparteiisch.
Ein guter Ortstermin beginnt mit der ungestörten Inaugenscheinnahme und endet mit Raum für persönliche Stellungnahmen. Mitunter entsteht daraus ein Dialog, der eine außergerichtliche Einigung ermöglicht – insbesondere wenn der Sachverständige auf die langen Verfahrenswege, die hohen Kosten und das oft unbefriedigende Ergebnis von Prozessen hinweist.

Tipp aus der Praxis: Dokumentation ist besser als Erinnerung
- Bauherr und Unternehmer sollten alle Absprachen schriftlich festhalten.
- Skizzen, Muster, technische Datenblätter, Fotos und E-Mails helfen, Klarheit zu schaffen.
- Checklisten für das Baugespräch vor Beginn verhindern Missverständnisse.
- Jeder offene Punkt sollte vor Vertragsunterzeichnung geklärt sein – nicht erst während der Bauausführung.
- Zeit-, Ablauf- und Zahlungspläne schaffen eindeutige Strukturen.
Und speziell für Unternehmer gilt: Wer regelmäßig mit privaten Bauherren zusammenarbeitet, sollte seine Angebots- und Vertragstexte in regelmäßigen Abständen kritisch durchsehen. Sind die Formulierungen klar, verständlich und nachvollziehbar – auch für technische Laien? Fachbegriffe, Abkürzungen und komplexe Formulierungen sollten soweit möglich erklärt oder anschaulich ergänzt werden. Denn nur wenn der Kunde versteht, was er beauftragt, wird er auch zufrieden sein mit dem, was er bekommt.
Fazit: Besser vorher klären – statt nachher streiten
Die nachträgliche Einschaltung eines Sachverständigen ist oft teuer, langwierig und belastend. Dabei lässt sich der Großteil solcher Konflikte durch frühzeitige, gründliche Klärung vermeiden. Wer als Auftraggeber oder Auftragnehmer den Mut hat, zu hinterfragen, zu erklären und auch unbequeme Details offen zu besprechen, schafft Vertrauen – und sorgt für ein besseres Bauklima.
Denn letztlich gilt: Nach hinten schauen bringt selten nach vorn. Wer heute fragt, baut morgen konfliktfrei – und braucht den Sachverständigen eher vorher zur Beratung als zur nachher zur Konfliktlösung.