Baurecht im Gespräch: Der Dauerbrenner unter den Streitigkeiten: Wie bewerte ich Pfützen auf dem Flachdach? Ist es ein Mangel, birgt es die Pflicht zur Bedenkenanmeldung oder die Hinweispflicht zur Wartung?
Dachdeckermeister Jost Presuhn: Auf jedem Flachdach, insbesondere auf einem größeren Industriedach, kann es zu Pfützenbildung kommen, das ist für mich normal. Gleichwohl höre ich von immer mehr Kollegen, dass Bauherrn deshalb immer mehr „Stress“ machen. Entweder wird direkt von Anfang an die Abnahme verweigert oder später im Wege des Gewährleistungsrecht eine Nachbesserung gefordert. Wie stelle ich mich auf solche Situationen am besten ein?
Rechtsanwalt Wolfgang Reinders: In der Tat wird das Thema Pfützenbildung stärker als früher diskutiert. Nicht zuletzt hat dazu sicherlich auch ein Urteil des OLG Frankfurt (5.5.2017 Az 24 U 53/15) beigetragen, das in der Fachöffentlichkeit bezeichnenderweise als „Pfützenurteil“ behandelt wird. Dort wurde in der leichten Pfützenbildung zwar kein technischer Mangel gesehen, gleichwohl wurde dem Bauherrn wegen eines erhöhten Wartungsaufwandes bei der vorhandenen stärkeren Pfützenbildung – verursacht durch ein nicht ausreichend durchgängiges Gefälle – ein Zahlungsverweigerungsrecht hinsichtlich der noch offenen Schlusszahlung zugebilligt.

Presuhn: Das ist aber doch eine gefährliche Situation für uns Dachdecker.
Reinders: Die Sache ist in der Tat sehr kompliziert. In unseren Flachdachrichtlinien steht an mehreren Stellen, dass Pfützen unvermeidbar sind und selbst bei Dächern mit 5 % Gefälle vorkommen können, letztlich also keinen Mangel darstellen. In der einschlägigen DIN 18 531 Teil I heißt es ähnlich: „Die Abdichtung sollte so geplant und ausgeführt werden, dass Niederschlagswasser nicht langanhaltend auf der Abdichtungsschicht stehen kann. Dazu sollte ein Mindestgefälle von 2 % geplant werden. Bei Dachflächen mit einer Neigung bis ungefähr 5 % (3°) ist aufgrund zulässiger Ebenheitstoleranzen, der Durchbiegung des Tragwerks, vorhandenem Gegengefälle und aufgrund von Unebenheiten an Bahnenüberlappungen und -verstärkungen eine Pfützenbildung möglich. Soll Pfützenfreiheit erreicht werden, ist eine Neigung von mehr als 5 % zu planen.“
Presuhn: Das Gericht sieht das Ganze aber offensichtlich insgesamt kritisch, und darauf kommt es doch wohl letztlich an. Da locken uns doch DIN-Normen und unsere eigenen Fachregeln in eine mögliche Haftungsfalle, oder?
Reinders: Das Problem ist, dass das Gericht „selbstherrlich“ eine Unterscheidung macht, die es in unseren Fachregeln so nicht gibt, nämlich „leichte“ Pfützenbildung (=kein Mangel) und eine „größere“ Pfützenbildung, die durch eine nicht funktionierende Gefällesituation verursacht wurde (=Mangel). Und dann kommt die entscheidende Stelle in der Urteilsbegründung. Der Dachdecker konnte sich nicht darauf berufen, dass das geplante Gefälle von 2 %, das nach den Flachdachrichtlinien und der DIN vorgesehen ist und das er auch tatsächlich per industriell hergestelltem Zuschnitt eingebracht hatte, wegen einer unebenen Unterkonstruktion tatsächlich geringer ausgefallen ist. Dann hätte er – so das Gericht – hinsichtlich der unebenen Unterlage eine entsprechende Nivellierung vor der Dämmstoffeinbringung durchführen müssen oder Bedenken wegen der Schwierigkeiten beim Wasserabfluss anmelden müssen.
Presuhn: Und wie gehe ich jetzt mit einer solchen Situation konkret um?
Reinders: Man muss einfach konstatieren, dass die Gefälleanforderungen („geplant/ausgeführt“) und die daraus resultierenden möglichen Pfützenbildungen/langanhaltend stehendes Wasser nicht wirklich perfekt und widerspruchsfrei in der Normung und den Flachdachrichtlinien gelöst sind. Das schafft natürlich Unsicherheiten und Spielräume bei Streitfällen und Gerichtsgutachten und bereitet den Nährboden für „schlechte Urteile“. Deshalb, allein deshalb, würde ich mich schon rein aus Gründen der Vorsicht nicht in das unternehmerische Risiko begeben, eine kritische Gefällesituation nicht deutlich zu kommunizieren. Meine Empfehlung lautet daher: Gibt die geplante Gefälledämmung aufgrund der tatsächlichen Baustellensituation letztlich kein effektiv ausreichendes Gefälle her, sodass eine größere Pfützenbildung nicht sicher verhindert werden kann, sollten Sie unbedingt sicherheitshalber Bedenken anmelden.
Presuhn: Toll, aber mit Verlaub, mit dem Rat kann ich nicht viel anfangen. Wie die Untergrundsituation wirklich aussieht, sehe ich doch meistens erst, wenn das alte Dach abgerissen ist, der Dämmstoffzuschnitt dann aber baustellenlogistisch längst bestellt – meist sogar schon Lkw-weise geliefert ist. Aber dann ist es doch für eine Bedenkenanmeldung zu spät.
Reinders: Nein, ebenso mit Verlaub. Zu spät ist es erst, wenn ich die geplante Dämmung einfach (gedankenlos) drauflege, abdichte und dann „überrascht“ feststelle, wie das fertige Dach gefällemäßig und pfützentechnisch insgesamt wirklich aussieht. Dann ist es natürlich zu spät. Dann kann ich mich – unabhängig von allen Regelungen in der DIN und den Flachdachrichtlinien – eben nicht darauf verlassen, dass der Bauherr wegen der Pfützen keinen Rechtsstreit anzettelt. Ansonsten ist es so, dass Sie Bedenken erst anmelden müssen, wenn Sie die unzureichende Untergrundsituation erkennen bzw. bei pflichtgemäßer Prüfung hätten erkennen können. Das ist ein kontinuierlicher Erkenntnisprozess während der gesamten Bauphase. Der hört nicht bei der Angebotserstellung auf! Kann ich sie erkennen, sollte ich im selben Moment mit einem entsprechenden Hinweis bzw. einer formellen Bedenkenanmeldung reagieren. Wie gesagt:
sicherheitshalber.
Presuhn: Wäre es nicht sinnvoll, die Flachdachrichtlinien zu ändern und das Pfützenthema anders zu lösen, zum Beispiel in Zusammenhang mit einer zwingenden Wartungsverpflichtung des Bauherrn? Beim Auto ist es ja auch nicht anders: Gewährleistung gibt es nur, wenn das Auto regelmäßig von einer Fachwerkstatt gewartet wird.
Reinders: Die Wartung ist heute schon in den Flachdachrichtlinien und der DIN 18 531 Teil IV klar und eindeutig geregelt: Die Nutzungsdauer der Abdichtung wird nur dann erreicht, wenn sie nach den Regelungen der DIN 18531-1 bis DIN 18531-3 geplant, ausgeführt und nach diesem Dokument instand gehalten wird. Es ist von den für die Nutzung des Bauwerks Verantwortlichen sicherzustellen, dass die Instandhaltungsmaßnahmen in dem erforderlichen Umfang durchgeführt werden. Dies kann auf der Grundlage entsprechender vertraglicher Vereinbarungen erreicht werden Die Wartung sollte mindestens einmal jährlich im zeitlichen Zusammenhang mit einer Inspektion erfolgen. Die durchgeführten Maßnahmen sollten dokumentiert werden. Nur der Bauherr weiß davon meist nichts. Wir müssen den Bauherrn zwingend auf diese Wartungspflicht hinweisen, nicht zuletzt auch wegen solcher Erscheinungen wie Rotalgen und Verkrustungen.